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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich
Autoren: Marc Fischer
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traten sie vor Wirtschaftsvertretern für den freien Handel mit Wählerstimmen ein (Standing Ovations im Publikum); auf einem Vortrag in Finnland überzeugten sie Textilhändler davon, ihre Standorte nach Gabun zu verlegen und die Produktion dort für ein paar Hundert Dollar im Jahr von »modernen Sklaven« erledigen zu lassen (»Kosten für Ernährung und Unterkunft sind da schon mit drin«). Auch ein Siesta-Verbot in Spanien haben die Yes Men mal verlangt; sollte das Bruttoinlandsprodukt ankurbeln.
    Mühsam eindringen wie Diebe in der Nacht mussten die Yes Men zu den Tagungen nie. Man lud sie ein, nachdem sie Websites ins Internet gestellt hatten, die denen von McDonald’s, Shell oder Dick Cheneys Lieblings-Militärzulieferer Halliburton ähnelten. Enttarnt werden die Yes Men selten; kaum ein Veranstalter fragt genauer nach, wenn Vertreter von Exxon Mobil oder der WTO sich als Podiums-Sprecher bereitstellen. Sie sind sogar dankbar, dass so ein Marktgigant mal vorbeikommt und Business-Tipps gibt. Auch verklagen konnte die Yes Men bislang keiner; es war ihnen nichts Kriminelles nachzuweisen.
    Mit dabei sein bei der Truppe will ich, seit ich vor ein paar Jahren im Fernsehen sah, wie ein Typ namens Jude Finisterra in einem BBC – Interview erschien, angeblich Pressesprecher des Unternehmens Dow Chemical. Zum zwanzigsten Jahrestag der Chemie-Katastrophe von Bhopal, bei der es 1984 aufgrund fahrlässiger Sparmaßnahmen zu einem Gas-Austritt gekommen war, erklärte Finisterra, dass Dow Chemical nun endlich seiner nie übernommenen Verpflichtung für die über 100000 indischen Opfer und Geschädigten nachkommen wolle. Finisterra versprach ihnen »die längst überfällige Entschädigung in Höhe von 12 Milliarden US- Dollar«. Der Moderator und das Fernsehpublikum waren sehr überrascht. Dow Chemical auch. Dass Jude Finisterra die Art Name ist, die sonst nur in Star-Wars-Filmen vorkommt, brachte niemanden zum Nachdenken.
    Jude Finisterra war Yes-Men-Gründer Andy Bichlbaum mit sauber gescheiteltem Haar und einem Anzug, den er sich zwei Tage zuvor für fünfzig Dollar bei der Heilsarmee besorgt hatte. Das war Aktivismus, wie man ihn noch nicht gesehen hatte – schnell, smart, lässig. Wie etwas, was sich die Beastie Boys und die Pariser Situationisten-Künstlergruppe hätten ausdenken können: Hiphop-Aktivismus!
    Bichlbaum und sein Partner Mike Bonanno sind auch die Männer, die mich heute zum Yes Man machen sollen. Das Problem ist nur, dass jetzt, mittlerweile ist es zwanzig nach vier, noch immer keiner der beiden ans Telefon geht.
    Dafür haben sich ein paar Leute eingefunden, die offensichtlich auch Yes Men werden wollen. Oder Yes Women. Sie alle wurden übers Internet benachrichtigt, dem Hauptmedium der Gruppe. Da ist Robert aus Texas, Student der Wirtschaftswissenschaften; da ist Kegan, ein Schauspieler aus Brooklyn; da ist die Rentnerin Jane, eine Psychologin, die schon bei den Studenten-Aktionen im Berkeley der Sechziger mit dabei war; da sind Hans, Jonathan, Laura und Jeanne. Kaum eine Handvoll, aber die Typen, die auf die Bastille gestürmt sind, waren am Anfang auch keine Armee. Nun allerdings, wo es immer später wird, regen sich schon die ersten Zweifel daran, ob überhaupt was passieren wird.
    »Die Polizeiwagen da drüben machen mich nervös«, sagt Jane. »Was, wenn das eine Falle ist?«
    »Eine Falle von wem denn?«, fragt Robert.
    »Den Rechten natürlich«, sagt Jane. »Die infiltrieren doch momentan alles, um Obama zu schaden.«
    »Und schreiben E-Mails und twittern im Namen der Yes Men? Come on!«, sagt Laura.

    »Kennt denn einer von uns die Yes Men persönlich?«, will die kritische Jane wissen.
    »Ja«, sage ich und wähle Andys und Mikes Nummern erneut. Wieder nur Mailbox.
    Erst vor ein paar Tagen hatte ich Andy getroffen, aber auch da war er praktisch kaum ansprechbar gewesen. Schwitzend saß er in dem kleinen Büro, das ihm die Kunstschule Parsons für seinen Job als Professor für Digital-Design bereitgestellt hatte. Ständig klingelte das Telefon, ständig gingen E-Mails ein, ständig starrte Andy auf den Bildschirm seines MacBooks. Yes Man zu sein, hieß mittlerweile auch, Stress Man zu sein. Andy kümmerte sich gleichzeitig um den Vertrieb des neuen Yes-Men-Films »The Yes Men Fix The World« (hat auf der Berlinale den Publikumspreis gewonnen); er war auf der Suche nach weiteren finanziellen Unterstützern (das meiste Geld bekommen sie von Stiftungen und privaten Spendern, einer soll der
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