Die Uhr der Skythen (German Edition)
die Seele ebenso wie das Schreiben.
In Pogum findet er alles unverändert vor. Frau Freesemann steht mit dem Huhn auf dem Arm vor seinem Haus. Das Licht, das über dem Garten liegt, ist wunderbar klar, die Stille tut ihm gut wie der Anblick des Spatzen, der auf dem Rand des Suppentellers balanciert und mit dem kurzen Schnabel versucht, ein wenig Regenwasser zu schöpfen.
In der nächsten Zeit meidet er Ditzum und Critzum, weil er nur zu gut weiß, wie es dort steht, und es würde ihn auf Dauer absolut verrückt machen, ständig seinen eingefrorenen Gefühlen zu begegnen. Nach Jemgum fährt er ein einziges Mal, kauft in der Drogerie ein halbes Dutzend Chinakladden, um die Zeitlosigkeit differenzierter zu dokumentieren als tausend Fotografien es könnten, leiht sich beim alten Hamelmann zwei Taschen voll von Büchern aus und was er auch liest, jede Geschichte besitzt eine Zeit. Wohl deshalb kann er sich nicht sattlesen.
Vielleicht, denkt er eines Morgens, als er es sich mit einer Kanne Tee und einem Roman über einen Jungen, der zwar nicht die Zeit, aber seine Wahrnehmung anhalten kann, auf der Terrasse bequem gemacht hat, vielleicht dreht sich die Uhr ja immer. Nichts rostet, nichts verwest, sie liegt dort in ewiger Schwerelosigkeit, und die Schöpfung hat ihr Ende gefunden.
Er nimmt einen Schluck Tee, horcht für einen Augenblick in die Stille, und als er sich just in den Roman verlieren will, hört er den Spatzen tschilpen. Er schaut ihm zu, wie er mit dem kurzen Schnabel ins Wasser taucht und flattert. In den Bäumen geht ein wenig Wind, und ein zager Lufthauch berührt seine Haut wie Brennesseln.
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