durchaus einen rationalen Kern. Die damit beschäftigten »taste maker« sichern den gemeinsamen Exklusivitätsanspruch dieser sozialen Gruppe, halten ihr mit Mühe produziertes Individualitätsrepertoire wenigstens eine Zeitlang frisch, bevor es dann, zur Massenware entwertet, im Versandhandel, beim Discounter oder im Reisebüro für alle verfügbar ist.
Bei der Grenzarbeit hat das Selbstverwirklichungsmilieu allerdings einen erheblichen strategischen Vorteil: Es stellt ja inzwischen weitgehend selbst die Berufsgruppen, in denen die jeweils aktuellen Individualitätssymbole erfunden werden. Nehmen wir nur einmal die unmittelbare Selbstdarstellung über das »Outfit«, also die Frisur, die Verwendung von modischen Accessoires und die Kleidung, als Beispiel für eine mit gesellschaftlicher Zeichenproduktion beschäftige Berufsgruppe: Designer, Modeschöpfer und Prominentenfriseure sind ja weitgehend Menschen aus diesem Milieu. Deren Tätigkeit besteht darin, ständig neue Kostüme und Requisiten für den Markt der Selbstdarstellung zu kreieren. Nach dem Konzept der inszenierten Singularität muß es aber immer ausgefallen, originell und provozierend sein. Nichts ist so verbraucht wie die Mode vom letzten Jahr. Und was die Inszenierungsstrategien von Frauen angeht, diese müssen das sein, was ihre (immer noch überwiegend männlichen) Erfinder für erotisch halten: Die Frauenmode variiert ja häufig nur darin, welches Weiblichkeitsmerkmal in der jeweiligen Saison akzentuiert wird. Die von ihnen immer wieder neu geschaffenen Inszenierungsinventare reichen sie über Avantgarde-Design- oder Haute-Couture-Läden an Prominente aller Art, im Bereich der Mode vor allem an Moderatoren, Schauspieler, Künstler, Showstars und andere »Celebrities«, weiter. Diese zeigen sich mit den jeweils aktuellen Kollektionen und definieren so öffentlich, was jeweils »in« und was »out« ist.
Und so geht es dann weiter: Die Medien berichten unter dem Thema »Lifestyle« über die neuen Moden, zeigen die Inszenierungseliten bei ihren öffentlichen Auftritten im jeweils aktuellen »Outfit« und staffieren ihre eigenen Showstars entsprechend aus. Damit wird das ganze Inventar an die nachgeordneten Berufsgruppen der Friseure, Boutiquenbesitzer, Visagistinnen und Stylistinnen zur Verteilung über den gehobenen Markt an das eigene Milieu weitergereicht. Dort finden es dann die Trendsetter, jüngere, besser gebildete und gehobene soziale Milieus, die sich auch entsprechend inszenieren wollen. Die Zweit- und Drittverwertung erfolgt schließlich über die Versand- und Kaufhäuser; am Schluß der Verwertungskette steht dann das Sonderangebot bei ALDI – und ganz zum Schluß die Kleiderspende für Afrika.
Vor diesem soziologischen und persönlichkeitspsychologischen Hintergrund wird dann auch das Fernsehen genutzt, entfaltet es seine den Sozialcharakter prägenden Einflüsse. Eine besondere Rolle spielen hier Sendungen und Filme, die, wie man sagt, »Kult« sind. Wer auch immer dieses Prädikat verleiht, die Verwendung des Wortes »Kult« macht jedenfalls den individuellen Exklusivitätsanspruch vorzüglich deutlich. Eine überraschend erfolgreiche »low budget«-Produktion, eine gegen den Strich bürstende Serie, ein unkonventioneller Entertainer sind die bevorzugten Sendungen dieser sozialen Gruppen. Massenwirksame Genres werden allenfalls mit einer distanziert-ironischen Sicherheitsweste gesehen: Niemand darf glauben, man sehe die Sportschau, die Quizsendung oder die Seifenoper etwa gerne. Aber natürlich werden auch, womöglich gerade, in solchen Sendungen emotionale, kognitive und verhaltensbezogene Muster vermittelt, aus ihnen gelernt. Und sicherlich sind die Lerneffekte in dieser sozialen Gruppe nicht wesentlich geringer als in anderen Milieus, und zwar gerade deswegen, weil sie sich für weitgehend immun gegen schädliche Einflüsse des Mediums hält. Der sogenannte third person effect besagt nämlich, daß Zuschauer zwar um die problematischen Wirkungen des Mediums wissen, sich selbst aber für unbeeinflußbar und folglich ungefährdet halten (vgl. etwa Mcllwraith, 1998). Dieser Effekt ist offenbar (u.a.) bei den formal höher gebildeten Sozialschichten besonders ausgeprägt.
So wird im Zusammenspiel von Inszenierungseliten, Prominenten, Medien und Milieugruppe aus dem bürgerlichen Konzept des einzigartigen, sich zu einem vernünftigen Ziel hin entwickelnden Individuums ein chamäleonhaft sich verändernder, immer auf der Suche nach
Weitere Kostenlose Bücher