01 - Nacht der Verzückung
Nomadendasein
geführt hatte. Er war entschlossen gewesen, sie irgendwo glücklich
unterzubringen. Er hatte davon geträumt, ihr Rettet zu sein, ihr Glück über das
seine zu stellen, zu tun, was für sie gut war.
Und die
ganze Zeit über hatten Elizabeth und Lily zusammen das getan, woran er nicht
einmal gedacht hatte tatsächlich hatte er sich derartigen Versuchen von Seiten
seiner Mutter widersetzt. Sie hatten aus ihr eine Dame gemacht.
Gewiss
war sie nicht glücklich, dachte er, als er sie traurig beim Tanzen beobachtete.
Wie denn auch? Wo war seine Lily, jenes glückliche, verträumte, feenhafte
Wesen, das er auf der Iberischen Halbinsel mit unglaublichen Glücksgefühlen beobachtet
hatte, lange bevor er sich in sie verliebt hatte? Die Nymphe mit dem langen
Haar und den nackten Füßen, die auf einem Felsen in Portugal gesessen hatte,
einen Vogel über sich schweben sah und davon träumte, vom Wind getragen zu
werden? Die bezaubernde Frau, die in ihrer ganzen Schönheit am Teich am Fuße
des Wasserfalls gestanden und ihm gesagt hatte, dass sie die Szenerie nicht nur
betrachtete, sondern lebte.
Sie war
zu einer zierlichen, eleganten, betörenden Dame geworden, die auf einem Ball in
London die Quadrille tanzte, Freddie Farnhope anlächelte und sich auf ihre
Schritte konzentrierte.
»Donnerwetter,
Elizabeth«, sagte Joseph und benutzte wieder sein Monokel, »sie hat sich zu
einer seltenen Schönheit entwickelt.«
»Nur
für Augen, die an Ballschönheiten gewöhnt sind, Joe«, sagte Neville mehr zu
sich selbst als zu seinem Cousin. »Sie war schon immer eine seltene Schönheit.«
»Neville«,
sagte Elizabeth, »du darfst mich zum Erfrischungsraum geleiten, wenn ich bitten
darf.«
Er bot
ihr den Arm und geleitete sie durch den Saal.
»Louisa
muss sehr zufrieden sein«, sagte sie, sobald sie den lärmerfüllten Ballsaal
hinter sich gelassen hatten. »Ihr Ball ist sogar noch besser besucht als sonst.
Oder vielleicht liegt es auch nur daran, dass die meisten den Ballsaal
bevölkern, statt wie sonst üblich in den Kartenraum oder den Salon abzuwandern.«
»Elizabeth«,
sagte er, »warum tust du das? Warum versuchst du, Lily zu ändern? Ich mochte
sie so, wie sie war.«
»Dann
bist du egoistisch«, sagte sie. »Richtig, der Erfrischungsraum liegt in dieser
Richtung. Ich brauche ein Glas Limonade.«
»Egoistisch?«
Er runzelte die Stirn.
»Aber
natürlich«, sagte sie. »Vielleicht war Lily selbst so, wie sie war, nicht
glücklich. Aber fraglos ist sie mit ihrer Veränderung sehr glücklich,
Neville. Wenn man lernt, fügt man dem bereits vorhandenen Wissen und
Fähigkeiten hinzu. Man bereichert sein Leben. Man wächst. Man verändert sich
nicht in fundamentalen Eigenschaften. Auch ich mochte Lily so, wie sie war. Und
ich mag sie so, wie sie ist. Sie ist immer noch Lily und wird es auch immer
bleiben.«
»Sie
hat das Leben auf Newbury Abbey gehasst«, sagte er, »obwohl alle sich Mühe
gaben, nett zu ihr zu sein. Sogar Mama war nett, nachdem sie sich von dem
ersten Schock erholt hatte. Sie war bereit, Lily einige der Lasten des Lebens
als Gräfin abzunehmen. Aber Lily hasste es trotzdem, das weißt du. Sie muss
auch dies hier hassen. Ich werde nicht zulassen, dass sie unglücklich ist,
Elizabeth, oder dazu gezwungen wird, etwas zu tun, das sie nicht tun will, oder
jemand zu sein, der sie nicht sein will. Ich werde sie irgendwo sesshaft werden
lassen - in einem Dorf auf dem Lande, glaube ich -, wo sie ihr
eigenes ruhiges Leben führen kann.«
»Vielleicht
wird sie sich eines Tages dazu entschließen«, sagte Elizabeth, »vielleicht aber
auch nicht. Vielleicht wird sie sich entschließen, eine Stellung anzutreten -
möglicherweise sogar eine dauerhafte Stellung als meine Gesellschafterin. Oder
vielleicht wird sie trotz ihres mangelnden Vermögens heiraten. Es gibt hier
heute Abend zahllose Gentlemen, die von ihr fasziniert zu sein scheinen.«
»Sie
wird nicht heiraten«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Sie ist meine
Frau.«
»Und du
wirst jeden Mann zum Duell im Morgengrauen fordern, der sich trotz dieser Tatsache
zu ihr hingezogen fühlt«, sagte sie ausgelassen, als sie den Erfrischungsraum
betraten. »Limonade, wenn ich bitten darf, Neville.«
Als er
mit dem Glas in der Hand zurückkam, lächelte sie.
»Danke«,
sagte sie, bevor sie an dem Getränk nippte und ihr Gespräch wieder aufnahm.
»Lily ist zwanzig Jahre alt. In zwei Monaten wird sie volljährig sein.
Vielleicht solltest du langsam
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