Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
01 - Nacht der Verzückung

01 - Nacht der Verzückung

Titel: 01 - Nacht der Verzückung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Balogh
Vom Netzwerk:
Hoffnung,
etwas, wofür es sich zu leben lohnte.

Kapitel 20
    Lily war in ihrer
Ausbildung an einem frustrierenden Punkt angelangt. Zuerst war alles verwirrend
und ermüdend, aber im Grunde auch recht einfach gewesen - und vor allem
aufregend. jeden Tag hatte sie etwas Neues gelernt und jeden Tag ihre
Fortschritte gesehen. Sie hatte geglaubt, innerhalb eines Monats alles lernen
zu können - oder zumindest die Grundlagen so weit verinnerlicht zu
haben, dass es ihr möglich wäre, sich all das zu erarbeiten, was sie schon
immer hatte wissen wollen.
    Aber
unvermeidlich kam der Zeitpunkt, an dem die Lektionen monoton und langweilig
wurden, an dem sich der Erfolg nur noch langsam einstellen wollte und manchmal
kaum erkennbar war und sie den Eindruck gewann, niemals eine auch nur halbwegs
vernünftige Grundausbildung erlangen zu können.
    Sie
hatte alle Buchstaben des Alphabets gelernt und konnte sie sowohl als Groß-
als auch als Kleinbuchstaben erkennen und schreiben. Sie konnte einige Wörter
entschlüsseln, besonders diejenigen, die so geschrieben wurden, wie man sie
aussprach, und diejenigen, die in fast jedem Satz vorkamen. Manchmal redete
sie sich ein, lesen zu können, aber immer wenn sie ein Buch aus dem Regal in
Elizabeth' Bibliothek hervorholte, stellte sie fest, dass jede Seite noch immer
ein Mysterium für sie war. Die wenigen Wörter, die sie lesen konnte,
ermöglichten es ihr nicht, die Bedeutung des Ganzen zu erfassen, und die
Langsamkeit, mit der sie das wenige las, was sie entziffern konnte, tötete ihr
Interesse und ließ sie den Faden verlieren. Als sie eines Tages eine Einladungskarte
vom Schreibtisch nahm und feststellte, dass sich die Schrift so sehr von dem Unterschied,
was in ihren Büchern stand, dass sie kaum einen Buchstaben erkennen konnte,
fühlte sie sich der Verzweiflung nahe.
    Schiere
Starrköpfigkeit ließ sie weitermachen. Sie wollte sich ihre Niederlage einfach
nicht eingestehen. Sie bestand sogar darauf, am Morgen nach dem Ball all ihre
Unterrichtsstunden wahrzunehmen, obwohl sie erst im Morgengrauen nach Hause
zurückgekehrt waren und Elizabeth vorgeschlagen hatte, dem Lehrer eine
Nachricht zukommen zu lassen, um ihm abzusagen.
    Und
gleich nach dem Mittagessen saß sie in ihrer Musikstunde. Das Klavierspielen
erwies sich als ebenso frustrierend. Zu Anfang war es wunderbar gewesen, nur
die Tasten zu drücken und die Namen der Noten zu lernen. Sie hatte gespürt,
dass sie begonnen hatte, das Geheimnis der Musik zu entschlüsseln. Es war
erheiternd gewesen, Tonleitern zu üben, sie sanft und mit dem korrekten
Fingersatz und der korrekten Wölbung der Finger zu spielen und dabei auf die
richtige Haltung des Rückgrates, der Füße und des Kopfes zu achten. Es war
reinste Magie gewesen, mit der rechten Hand eine echte Melodie zu spielen und
sich einzubilden, dass sie Klavier spielen konnte. Aber dann war die
linke Hand dazugekommen, die irgendwie mit der rechten Hand zusammenspielte,
aber doch anders. Wie sollte sie ihre Aufmerksamkeit auf beide gleichzeitig
richten und beide korrekt einsetzen? Es hatte Ähnlichkeit mit dem alten Spiel,
das die Kinder in der Armee immer zum Lachen gebracht hatte - man musste
versuchen, sich den Bauch zu reiben und sich gleichzeitig auf den Kopf zu klopfen.
    Aber
sie blieb standhaft. Sie wollte Klavier spielen lernen. Sie würde nie
eine große Musikerin werden. Wahrscheinlich würde sie nicht einmal gut genug
werden, um vor einem Salonpublikum spielen zu können, wie es die meisten Damen
taten. Aber sie war entschlossen, zu ihrer eigenen Zufriedenheit korrekt und
auch irgendwie wohlklingend zu spielen.
    Seit
einer halben Stunde spielte sie immer und immer wieder dieselbe Fingerübung von
Bach. jedes Mal, wenn ihr Lehrer sie unterbrach, um sie auf einen Fehler
aufmerksam zu machen, oder sich tadelnd äußerte, nachdem sie ohne
Unterbrechung durchgespielt hatte, war sie kurz davor, die Beherrschung zu verlieren,
ihm die Noten und zahlreiche Beschimpfungen an den Kopf zu werfen und zu
erklären, dass sie nie wieder die Klaviatur berühren würde, zu schreien, dass
es ihr einfach egal sei. Aber sie hörte jedes Mal zu und versuchte es
erneut. Sie spürte ihre Müdigkeit - nicht nur, dass die Nacht kurz
gewesen war, noch dazu hatte sie wach gelegen und an ihn gedacht -
und an ihre Furcht. Er würde später zu Besuch kommen. Er hatte ein Geschenk für
sie. Wie sollte sie ihm gegenübertreten, ohne zusammenzubrechen, ohne ihm zu
zeigen, wie unglaublich schwach sie

Weitere Kostenlose Bücher