01 - Nacht der Verzückung
gegenüber äußerte, zeigte sie
mir, wie egoistisch ich war. Und ich muss zugeben, dass es mir ein Vergnügen
ist zu sehen, dass du dich wohl fühlst, wie du dich ausdrücktest.« Er lächelte
sie an. »Und ich mag dein Haar so, wie du es jetzt trägst.«
»Ich
auch.« Sie lächelte vergnügt und hob eine behandschuhte Hand, um zwei Damen zu
grüßen, die soeben aus einem Hutgeschäft traten. Im gleichen Augenblick
berührte George Brigham, der über die Straße ging, seine Hutkrempe mit dem
Spazierstock und neigte den Kopf zu Lily.
Sie sah
aus und wurde behandelt wie eine junge Dame der feinen Gesellschaft, stellte
Neville fest. Ihre eigene Courage und Elizabeth' Ermutigung hatten sie aus
ihrem Versteck gelockt und sie fühlte sich wohl. Er dagegen hätte sie behütet
und beschützt und sie für immer unglücklich gemacht. Keine erfreuliche
Erkenntnis.
Er
begleitete sie in das Geschäft des Juweliers, den er als den besten am Platz
ausgesucht hatte, und erklärte, dass Miss Doyle das Medaillon nicht abgeben
wolle, um es später abzuholen, sondern lieber zusehen würde, wie die Kette
repariert wurde. Und so hieß man sie Platz nehmen und sie ließ das kostbare
Stück nicht aus den Augen.
Das
Medaillon war aus Gold, ebenso die Kette. Es gehörte nicht zu der Art von
Schmuckstücken, die sich ein gewöhnlicher Soldat leisten konnte, der zum
Zeitpunkt des Ankaufs nicht einmal über den Sold eines Sergeants verfügt hatte.
Neville hatte es unzählige Male an Lilys Hals gesehen. Es schien ein Teil von
ihr gewesen zu sein. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, sich über seine
Herkunft Gedanken zu machen. Auf der Außenseite des Medaillons war ein verschlungenes
Ornament zu sehen, aber er unterließ es, sich weit genug vorzubeugen, um es
eingehender zu betrachten. Aus irgendeinem Grund hütete Lily sein Geheimnis und
er wollte ihren Wunsch respektieren.
Er
bezahlte die Arbeit, als sie beendet war, und sie legte das Medaillon
vorsichtig zurück in ihre Handtasche.
»Willst
du es nicht anlegen?«, fragte er, als sie das Geschäft verließen.
»Ich
habe es so lange nicht getragen«, sagte sie, »dass ich es mir für eine
besondere Gelegenheit aufheben möchte, es zum ersten Mal wieder anzulegen. Ich
weiß noch nicht, wann. Ich werde über den richtigen Zeitpunkt nachdenken.«
»Darf
ich dich auf ein Eis zu Gunther's einladen?«, fragte er.
Sie
biss sich auf die Lippe, aber sie nickte. »Ja«, sagte sie. »Danke, Mylord. Und
danke, dass Ihr mein Medaillon habt reparieren lassen. Ihr seid sehr
liebenswürdig.«
Er
blieb auf dem Gehsteig stehen und beugte sich zu ihr, um ihr in die Augen sehen
zu können.
»Lily«,
sagte er, »gib dich nicht dem Trugschluss hin, dass ich nur aus Liebenswürdigkeit
handle. Ich war schon wieder egoistisch. Wenn du das Medaillon wieder trägst,
so hoffe ich - nein, ich glaube es - dass du nicht nur an deine
Mama und deinen Papa denken wirst, sondern auch an den Mann, der sich immer als
deinen Ehemann betrachten wird.«
»Oh,
bitte nicht«, stieß sie hervor und sah ihn mit großen, blauen Augen an.
»Aber
du wirst dich doch daran erinnern, nicht wahr?«, fragte er.
Sie gab
ihm keine Antwort, doch nach einigen Augenblicken nickte sie fast unmerklich.
***
Lily hatte sich vor
diesem Nachmittag gefürchtet. Sie hatte gebetet, Elizabeth möge sie begleiten.
Nachdem die Frage der Kutsche geregelt war, hatte sie um Regen gebetet, damit
er gezwungen war, mit einer geschlossenen Kutsche zu kommen und Elizabeth sie
letztendlich doch hätte begleiten müssen.
Sie war
so unendlich schwach. Es war so schwer, ihn zu sehen, mit ihm zu sprechen, mit
ihm allein zu sein und ihm doch ihre wahren Gefühle nicht zu offenbaren. Es
bedeutete Seelenqualen zu wissen, dass sich diese Erinnerungen mit
unerträglichem Schmerz in ihr Herz brennen würden, wenn er erst wieder nach
Haus zurückgekehrt war. Sie brauchte keine weiteren Erinnerungen. Sie hatte
schon viel zu viele.
Aber
schließlich wurde es ein ganz wundervoller Nachmittag. Das Wetter war nach
einigen grauen Tagen mit gelegentlichen Regenfällen wieder sommerlich geworden.
In einem offenen Phaeton zu fahren und die Wärme der Sonne zu spüren und ihre
Helligkeit zu sehen, weckte all ihre Lebensgeister. Genau wie seine Gegenwart.
Aber da
war noch etwas anderes, das den Zauber ausmachte. Ein Gedanke, der sie in
freudige Hochstimmung versetzte, obwohl sie wusste, dass sie erst nach Hause
zurückkehren und in Ruhe darüber nachdenken musste, bevor
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