01 - Nacht der Verzückung
zeigen.
Oder war Seine Lordschaft vielleicht geschäftlich dort gewesen?
Lily
empfand es als ziemlich peinlichen Zufall, dass der Herzog von Portfrey just
während jener fünf Minuten an Gunther's vorbeispazierte und mit einem kurzen
Blick ins Innere die drei dort sitzen sah. Er blieb einen Moment lang stehen
und ging dann weiter, nachdem er Lily mit einem Tippen an den Hut gegrüßt
hatte. Nun, dachte sie, zumindest konnte sie Elizabeth versichern, dass sie
und Neville keine andere Wahl gehabt hatten, um nicht unhöflich zu sein.
Ein
oder zwei Minuten später verabschiedete sich Mr. Dorsey.
»Ein
merkwürdig liebenswürdiger Knabe«, sagte Neville. »Er hätte den ganzen Weg
nach Leicestershire auf sich genommen, nur um mir die Landschaft zu zeigen? Dabei
kenne ich ihn kaum. Vielleicht glaubt er, dass er mir eine Gefälligkeit
schuldet, weil er im Mai auf Newbury zu Gast war. Aber er kam als Bekannter von
Laurens Großvater. Aber immerhin hat er sich bemüht, mir zu zeigen, dass er
keinen Groll gegen mich hegt.«
Sie
lächelten sich an.
Er
lehnte sich zu ihr und hatte die Unterbrechung vergessen: »Du hast sicher noch
nicht die Vauxhall Gardens besucht, oder?«
»Nein.«
Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich habe davon gehört. Man sagt, dass es dort bei
Nacht ganz bezaubernd sein soll.«
»Wirst
du mich dorthin begleiten«, fragte er sie, »wenn ich eine Gesellschaft
zusammenbringen kann?«
Es
könnte durchaus einer der gefährlichsten Orte für sie werden, wenn sie nach
reiflicher Überlegung zu dem Schluss kommen sollte, dass sie ihre Haltung zu
ihm nicht ändern durfte. Sie sollte auf der Stelle ablehnen. Oder zumindest
sollte sie ausweichend ankündigen, dass sie darüber nachdenken und mit
Elizabeth sprechen würde.
Statt
dessen lehnte sie sich begierig zu ihm hinüber, bis ihre Gesichter nur noch
Zentimeter voneinander entfernt waren.
»0 ja«,
sagte sie. »Ja, bitte, Mylord.«
Kapitel 21
»Ich frage mich«,
sagte der Herzog von Portfrey, »warum Mr. Calvin Dorsey sich so sehr für Euch
interessiert, Miss Doyle.«
Elizabeth
und Lily gehörten zu einer Gesellschaft von Gästen, die der Herzog in seine
Theaterloge eingeladen hatte. Lily war bis zu diesem Zeitpunkt von dem Ereignis
völlig fasziniert gewesen - von der prachtvollen Eleganz des Theaters,
vom Publikum in den anderen Logen, im Parkett und auf den Galerien und vom
ersten Akt des Schauspiels. Sobald die Vorstellung begonnen hatte, hatte sie
sich in eine andere Welt entführen lassen und hatte jeden Sinn für ihre eigene
Identität verloren - sie hatte sich in die Figuren auf der Bühne
versetzt und deren Leben mitgelebt. Aber jetzt war Pause, und die Loge hatte
sich mit Besuchern gefüllt, die gekommen waren, um Elizabeth und andere
Anwesende zu begrüßen - und um die berühmte Lily Doyle aus der Nähe zu
betrachten.
Seine
Gnaden hatte keine Zeit mit Plaudereien vergeudet. Er hatte vorgeschlagen,
sich mit Lily außerhalb der Loge ein wenig die Beine zu vertreten.
»Warum
interessieren alle sich so sehr für mich, Euer Gnaden?«, sagte sie als Antwort
auf seine Bemerkung. »Nach den Maßstäben der feinen Gesellschaft bin ich ein
Niemand.«
»Er hat
sich nie sehr um Frauen gekümmert«, sagte Seine Gnaden, »noch war er den Damen
gegenüber je besonders zuvorkommend. Aber er hat dich bei zwei verschiedenen
Gelegenheiten, die mir bekannt sind, absichtlich aufgesucht.«
»Ich
denke, Euer Gnaden«, sagte Lily, »das geht Euch nichts an.«
»Ah,
dieses Aufblitzen der Augen und das hochfahrende Kinn«, flüsterte er und
schüttelte den Kopf. »Lily, was kann man tun, wenn ... nun ja, es macht nichts.«
»Außerdem«,
sagte Lily, »war Mr. Dorsey bei Gunther's mehr an dem Grafen von Kilbourne als
an mir interessiert. Er sagte, er wäre vor ein paar Wochen selbst nach
Leicestershire gereist, wenn er gewusst hätte, dass Seine Lordschaft dort war.«
»Kilbourne
war in Leicestershire?«, fragte der Herzog.
An
Leavenscourt«, sagte Lily, »wo mein Vater aufgewachsen ist -mein
Großvater war dort Stallknecht.«
»Lebt
er noch?«, fragte Seine Gnaden.
»Nein«,
sagte Lily. »Er starb noch vor meinem Vater, und der Bruder meines Vaters ist
in der Zwischenzeit ebenfalls verstorben. »
»Ah«,
sagte der Herzog, »es gibt also niemanden mehr. Das tut mir Leid.«
»Nur
eine Tante«, sagte Lily, »und zwei Cousins.«
»Meine
Frau stammte aus Leicestershire«, sagte der Herzog. »Wusstest du, dass ich
verheiratet war, Lily? Sie wuchs auf Nuttall
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