01 - Nacht der Verzückung
stürzte.
Gwen war in den familiären Trost ihres Elternhauses geflüchtet, statt im Haus
ihres Gatten zu bleiben.
»Und
wie ich mich wegen meiner Selbstsucht verachte«, sagte Gwendoline, als niemand
auf ihre Worte reagierte. »Ich denke nur an mein eigenes Elend, wo es doch nichts ist im Vergleich zu dem, was die arme Lauren durchmacht. Oh, was bin ich
nur für ein Unmensch.« Sie raffte ihre Röcke hoch und jagte aufs Haus zu,
Nevilles ausgestreckten Arm ignorierend.
»Arme
Gwen« sagte Lauten. »Nach Lord Muirs Tod hätte sie am liebsten die Zeit
zurückgedreht, Neville. Sie wollte das Leben so, wie es war, als wir Kinder
waren, und nun glaubte sie, ihr Traum habe sich erfüllt. Aber wir können
niemals zurück. Nur nach vorn. Wir können nicht nach gestern zurück oder nach
heute Morgen. Es gibt jetzt Lily.«
»Ja.«
»Auch
ich bin selbstsüchtig gewesen«, sagte sie. »Meine eigene Enttäuschung ließ mich
voreingenommen sein. Aber du, Neville, du musst so glücklich sein, selbst wenn
du in deiner Güte wegen mir traurig bist und dir die Zeit genommen hast, zu
mir zu kommen und mit mir zu reden. Lily lebt und sie ist zu dir gekommen. Wie
wundervoll für dich.«
»Lauren«,
sagte er leise. »Mein Liebes, tu so etwas nicht. Bitte nicht.«
»Du
möchtest also, dass ich dir sage, wie sehr ich sie hasse?«, sagte sie. »Wie
sehr ich mir wünschte, sie wäre wirklich gestorben? Wie sehr ich mir auch
jetzt noch wünsche, sie möge sterben? Du möchtest, dass ich dir sage, wie sehr
ich dich für dein Verhalten verachte, fortzugehen und mir zu sagen, ich solle
nicht auf dich warten, und dann aus einem bloßen Impuls heraus die Tochter
eines Sergeants zu heiraten? Du möchtest, dass ich dir sage, wie sehr ich dich
dafür hasse, dass du es mir nicht gesagt hast? Dass ich dir zu wenig bedeute,
um die Tatsache zu erwähnen, dass dies deine zweite Heirat sein würde? Dafür,
dass ich heute Morgen eine solche Erniedrigung ertragen musste?«
Er
atmete langsam ein. »Ja«, sagte er. »Das ist es, was ich hören möchte, Lauten.
Lass es heraus. Schrei mich an. Wirf Sachen nach mir. Schlage mich. Nur sitz
nicht so reglos da.« Neville fuhr sich wieder mit den Fingern durchs Haar. »0
mein Gott, Lauten. Es tut mir so unendlich Leid. Wenn ich nur könnte ...«
»Aber
das kannst du nicht«, sagte sie ruhig, obwohl ihre Stimme endlich eine gewisse
Schärfe bekommen hatte. »Du kannst es nicht, Neville. Und Hass ist sinnlos.
Genau wie gewalttätige Emotionen. Würdest du jetzt bitte gehen? Ich möchte
allein sein.«
»Natürlich«,
sagte er. Es war das Einzige, was er für sie tun konnte. Ihr aus den Augen
gehen.
Als er
ging, trieb sie noch immer mit einem Fuß die Schaukel an. Gefangen in ihrem
Schock. In ihrer Überzeugung, dass sich alles fügen würde, wenn sie nur ruhig
und rational blieb. In ihrem tiefen Hass auf die Tochter des Sergeants, die
mit einem Schlag ihre Hoffnungen und Träume, ihr ganzes Leben zerstört hatte.
Und auf den Mann, den sie ihr ganzes Leben lang geliebt hatte.
Es half
Neville nichts, über jeden Zweifel hinaus zu wissen, dass sie ihn immer mit
einer viel tieferen Intensität geliebt hatte, als es ihm je möglich gewesen
wäre.
Auf dem
Rückweg zum Haus dachte er plötzlich an Lauren, wie sie gestern Nacht gewesen
war - strahlend, berstend vor Glück, und wie sie ihn gefragt hatte, ob
irgendjemand verdiene, so glücklich zu sein.
Sie
verdiente es, so wie er es ihr in jenem Moment gesagt hatte. Aber das Leben
gibt einem nicht immer das, was man verdient.
Was
hatte er getan, dass er Lilys Rückkehr verdiente. Als er sich vorstellte, dass
sie jetzt schlafend, lebendig im Bett der Gräfin lag, beschleunigten
sich seine Schritte.
Kapitel 6
Das Essen und der
Tee hatten Lily gut getan, das ausgiebige, heiße Bad mit parfümierter Seife und
einem flauschigen Handtuch hatte sie beruhigt und schläfrig gemacht. Sie hatte
lang und tief geschlafen und war erholt, aber auch verwirrt aufgewacht. Für
einige Augenblicke war sie nicht in der Lage, sich zu entsinnen, wo sie war und
wie sie dorthin gekommen war. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das
letzte Mal so gut geschlafen hatte.
Natürlich
dauerte es nicht lang, bis ihr alles wieder einfiel. Sie war angekommen. Sie
hatte das Ende einer Reise erreicht, die begonnen hatte - sie wusste
nicht, wie viel Zeit seitdem vergangen war -, als Manuel zu ihr gekommen
war und ihr erklärt hatte, dass sie gehen könnte. Einfach so - nach
sieben Monaten der
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