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02 Die Kinder der Rothschildallee

02 Die Kinder der Rothschildallee

Titel: 02 Die Kinder der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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und durch die Wüste marschieren lassen, damit ihr Herz schon bei der ersten Prüfung bricht. Wir haben, obwohl wir Otto hergeben mussten, sehr lange eine gute Zeit gehabt. Wahrscheinlich zu lange. Mein Vater hat immer gesagt: ›Wer dem Glück traut, hat auf Sand gebaut.‹ Und meine Mutter hat gesagt: ›Unglück kommt geritten und weicht mit Schritten.‹ Lass uns auf die Schritte setzen. Vielleicht fällt uns an den jüdischen Feiertagen ein, wie diese Schritte zu sein haben. Komisch, früher haben mir die Feiertage längst nicht so viel bedeutet wie heute.«
    »Früher waren wir ja Menschen, nicht Aussätzige. Aussätzige müssen sich viel mehr Mühe geben, um nicht unterzugehen. Wahrscheinlich kommt es noch so weit, dass wir Hitler dafür danken, dass er uns zum Glauben unserer Väter zurückführt.«
    Von Trost und neuer Glaubensfestigkeit war an den jüdischen Feiertagen nicht mehr die Rede. Am 10. September begann in Nürnberg der siebte Reichsparteitag. Offiziell wurde er als »Parteitag der Freiheit« deklariert. Adolf Hitler, Führer und Reichskanzler, verkündete die Nürnberger Rassegesetze, und die leiteten für die Juden im Dritten Reich eine neue Phase von Diskriminierung und Leid ein.
    Das »Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« verbot Eheschließungen zwischen Juden und Nichtjuden sowie den außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen ihnen. Verstöße gegen dieses Gesetz wurden fortan als »Rassenschande« definiert und mit Zuchthaus geahndet. Es wurde offiziell festgelegt, wer »Halbjude« und wer »Vierteljude« war. »Halbjuden« durften nur dann »Deutschblütige« oder »Vierteljuden« heiraten, wenn eine Genehmigung erteilt wurde. Stammbaum und Ahnentafeln bekamen den gleichen Stellenwert wie polizeiliche Führungszeugnisse. Juden durften keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden. Das bedeutete, auch die ehemaligen jüdischen Frontkämpfer, die bis dahin vor der Entlassung verschont worden waren, mussten den Dienst als Beamte aufgeben. Juden verloren das Wahlrecht.
    »Na, wenigstens können wir aufhören, unseren jüdischen Kopf zu zermartern, ob Juden die Hakenkreuzfahne hissen müssen oder dies nicht dürfen«, stellte Erwin fest. »Wir dürfen nicht. Schluss, aus. Das Vaterland verbietet sich unsere Loyalitätsbekundungen.«
    Erwin war es, der es nach tagelangem, erstickendem Schweigen wagte, die neueste Schikane anzusprechen. Nichtjüdisches Personal durfte ab dem 1. Januar 1936 nicht mehr in jüdischen Haushalten arbeiten. »Das könnt ihr Josepha nicht antun, dass ihr sie weiter eure Suppe kochen lässt und dabei so tut, als sei alles in Butter. Glaubt ihr denn, sie ist verblödet und merkt nicht, was los ist?«
    Am Abend saßen sie zu viert am Küchentisch. Der weiße Handtuchschoner mit der Aufschrift »Schöne Worte geben keine fette Suppe« in blauem Kreuzstich war frisch gewaschen und brettsteif gestärkt. Auf dem Küchentisch stand ein brauner Bauernkrug mit roten und violetten Astern. Auf dem Fensterbrett standen zwei kleine Töpfchen; in dem einen wuchs Kresse, in dem daneben Petersilie. »Petersilie Suppenkraut«, pfiff Erwin das alte Kinderlied, »wächst in unserem Garten. Hast du uns immer vorgesungen, Josepha.«
    »Ach, du«, sagte Josepha und wurde rot, »das ist lange her.«
    Betsy machte die Deckenlampe mit den drei Birnen und den weißen Porzellanschirmen aus und knipste die kleine über dem Herd an. »Gibt ein viel angenehmeres Licht«, sagte sie und setzte sich wieder. »Nicht so grell.« Sie war bleich, atmete schwer und knetete fortwährend ihr Taschentuch zusammen, Johann Isidor rieb mit einem Staubtuch, das er auf seinem Stuhl gefunden hatte, auf der goldenen Taschenuhr seines Vaters herum. Auch er vermochte seiner Köchin nicht in die Augen zu schauen. Erwin bohrte mit einem Küchenmesser zwischen den Rillen vom Holztisch herum. Er schaute nicht nach rechts und nicht nach links. Kopfschüttelnd nahm ihm Josepha das Messer aus der Hand. »Nicht in meiner Küche«, tadelte sie, »damit wollen wir gar nicht erst anfangen.«
    Sie seufzte erleichtert, als Johann Isidor endlich zu sprechen begann, doch die neuen Restriktionen gegen nichtjüdisches Personal in jüdischen Häusern nahm sie mit einer Gleichgültigkeit zur Kenntnis, als würde ihr Chef über eine Dürre in Indien referieren. »So«, sagte sie und stand auf, um Teewasser aufzusetzen. »Wer mich aus diesem Haus bekommen will, muss mich schon hinaustragen. Die Füße zuerst. Das habe

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