02 Die Kinder der Rothschildallee
Jurist duldete nicht, dass sich Victoria und Erwin woandershin setzten als zu ihm. Er bestellte einen Rosé vom Kaiserstuhl und das delikate französische Käsegebäck, für das das Rumpelmayer berühmt war. Noch ehe serviert wurde, erzählte er von seiner ungewöhnlichen Fortüne. »Mit achtundzwanzig schon Notar«, erklärte er, »das ist wie ein Haupttreffer in der Lotterie.«
Victoria nickte beeindruckt, obgleich sie nicht wusste, wovon die Rede war. Ihr Gastgeber lächelte. Er berührte ihre Hand und ganz kurz ihr Knie mit dem seinen. Noch vor dem zweiten Glas Wein zeichnete sich ab, dass Doktor Friedrich Feuereisen, von seiner verwitweten Mutter und sämtlichen Freunden Fritz genannt, in allem ein Mann von schnellem Entschluss war. Im Bedarfsfall würde er nicht auf die vermittelnden Dienste von einem Schadchen angewiesen sein.
5
GEWITTERWOLKEN
1932
Am 6. März 1932 wurde die Leipziger Frühjahrsmesse eröffnet. Sie stand ganz im Zeichen der drückenden Wirtschaftskrise, und erwartet wurden entsprechend flaue Geschäfte. Ebenfalls in Leipzig besiegte die deutsche Fußballnationalmannschaft im ersten Länderspiel des Jahres die Auswahl aus der Schweiz mit zwei zu null. Das deutsche Passagierschiff »Bremen« war dicht davor, auf der Atlantikroute einen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen, und hatte für die Strecke von Bremerhaven nach New York noch keine fünf Tage benötigt. Der heiße Wahlkampf um das Amt des deutschen Reichspräsidenten ging in seine Endphase. Die satirische Zeitschrift »Simplicissimus« mit dem Datum vom 6. März zeigte auf dem Titelbild den amtierenden Reichspräsidenten Paul von Hindenburg als trutzigen Riesen. Neben ihm stand ein hässlicher Winzling mit Hakenkreuzbinde am Ärmel. Er hieß Joseph Goebbels.
Im ersten Stock in einem noblen Haus in der Frankfurter Günthersburgallee fand kein einziges dieser brandaktuellen Themen Beachtung. An diesem lichten, verheißungsvollen Sonntag im Vorfrühling konzentrierten sich der stolze Gastgeber und seine animierten Gäste ausschließlich auf den ersten Geburtstag von Fanny Mathilde, dem erstgeborenen Kind von Rechtsanwalt und Notar Doktor Friedrich Feuereisen und seiner Gattin Victoria, geborene Sternberg.
Das Fest war einer Prinzessin würdig. Auf dem mit künstlichem Weinlaub dekorierten Büfett im Esszimmer standen fünf Torten auf schweren Kristallplatten – die Schwarzwälder Kirschtorte war von Zuckerveilchen umkränzt, der voluminöse Frankfurter Kranz von echten Rosenknospen. Der Wein bot eine Auswahl vom Rhein bis zum Kaiserstuhl. In tiefen silbernen Gefäßen wurden die Sektflaschen auf dem Eis kühl gehalten, das am Vortag von der Firma »Eis Günther« im Pferdewagen angeliefert worden war. Für die Damen waren außer dem beliebten Eierlikör und dem üblichen Kakao mit Nuss zwei Flaschen Eiswein aus Schloss Schwarzenstein beschafft worden. In eine der beiden zartrosa Karaffen, die Hochzeitsgeschenke von Tante Selma Feuereisen aus dem Badischen, hatte der Hausherr Port gefüllt, in die andere Madeira. Flankiert wurden die erlesenen Stücke böhmischer Glasbläserkunst von Tellern vom Limoges-Service und sehr viel Besteck. Die gezackten Messer deuteten darauf hin, dass die Gäste mit Medaillons aus Rind und Wild rechnen durften, die meistens mit glasierten Aprikosenstücken oder einer kandierten Kirsche dekoriert waren und die bei privaten Einladungen immer beliebter wurden.
Links von dem pompösen Eichenbüfett, das einst die Großmutter des Hausherrn vor ihrer Hochzeit bei einem renommierten Hamburger Möbeltischler in Auftrag gegeben hatte, hing ein Bild von bohrender Farbkraft. Es verstörte die meisten Besucher und gefiel den wenigsten. Grund für den regelmäßig stattfindenden Kunststreit im Esszimmer waren drei Kühe – die eine rot, die zweite senfgelb und die dritte moosgrün. Das Bild war eine ausnehmend gut gedruckte Kopie eines Gemäldes von Franz Marc. Victoria behauptete, Franz Marc wäre eine Zumutung in einer konventionell eingerichteten Wohnung; mit dem Temperament, um dessentwillen ihr Mann so schnell Feuer gefangen hatte, hatte sie sich lange seinen Kaufabsichten widersetzt. Ausnahmsweise hatte er aber nicht nachgegeben und den Expressionismus, den fast alle seine Bekannten ebenso heftig ablehnten wie seine Frau, mit Engelsgeduld verteidigt. Durchgesetzt hatte er sich aber ausschließlich mit dem Argument, dass der Künstler, genau wie Victorias Bruder Otto, an der Westfront gefallen war.
Fanny, der
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