0361 - Gangstermord vor hundert Zeugen
Andererseits konnte das eine Chance sein, der Sache auf den Grund zu kommen. Meine Berufsneugier trug den Sieg über meine Vorsicht davon.
»Phil, ich habe eben einen Anruf erhalten, der mit unserem Fall zu tun hat. Einzelheiten soll ich in der Coney Island Avenue von einer Mary Ann Mallone erfahren. Ich fahre sofort. Aber Rückendeckung könnte nicht schaden. Coney Island 899.«
Phils Antwort bestand aus einem einzigen »Okay«. Dann hatte er den Hörer aufgelegt.
Ich lief die Treppen hinab, sprang in den Jaguar, ließ den Motor an, kontrollierte mit einem kurzen Blick auf die Benzinuhr den Tankinhalt und fuhr los.
Ich brauchte fünfundvierzig Minuten, bis ich in die Coney Island Avenue einbog.
Nach weiteren zehn Minuten erreichte ich das Haus 899. Es war eines der typischen Mietshäuser, in denen Angestellte oder Beamte ihre Wohnungen haben.
Ich überzeugte mich am Eingang des Hauses davon, daß die Wohnung von M.A. Mallone in der achten Etage lag. Ein Paternoster brachte mich in mäßigem Tempo nach oben.
Die vierte Tür auf der achten Etage gehörte zu Miß Mallones Wohnung.
Ich blieb vor der Tür stehen und drückte auf den weißen Klingelknopf, aber hinter der Tür war nichts zu hören.
Ich klingelte noch einmal, wieder ohne Erfolg.
Ich drückte vorsichtig auf die Klinke. Zu meiner Überraschung gab die Tür nach. Ich sah mich noch einmal um, aber niemand schien von meiner Anwesenheit Notiz zu nehmen.
Ich schlüpfte durch den schmalen Spalt der Tür in das Innere der Wohnung.
Meine Hände glitten über eine rauhe Tapete, um den Lichtschalter zu finden.
Plötzlich glaubte ich in unmittelbarer Nähe ein Geräusch gehört zu haben.
Ich horchte angestrengt.
Obwohl ich nichts sehen konnte, war ich sicher, nicht allein zu sein. Was ich jetzt wahrnahm, war der aufdringliche Duft eines billigen Rasierwassers.
Im nächsten Augenblick erhielt ich einen Bombenschlag auf den Hinterkopf.
In meinem Kopf rumorte es, ich sah einen Schwarm feuersprühender Funken und durcheinandertanzender Sterne. Dazwischen zuckten grelle Blitze durch meinen Kopf. Dann fiel ich in einen dunklen Abgrund.
Als ich die Augen wieder aufschlug, fiel mir der Name Mary Ann Mallone ein.
Mühsam richtete ich mich auf.
Ich blieb schwer atmend einen Augenblick stehen.
Meine Finger strichen erneut über die rauhe Tapete, bis ich den Schalter gefunden hatte. Von der plötzlichen Helligkeit schmerzten meine Augen.
Mein erster Blick fiel auf eine halbgeöffnete Tür, die ins Innere der Wohnung führte.
Ich befand mich in einem kleinen Flur.
Ich trat in das Zimmer, suchte den Lichtschalter und erblickte eine grausige Szene.
***
Dicht neben der Tür lag eine junge Frau, deren langes hellblondes Haar mit den dunkelroten Flecken neben ihr kontrastierte.
Man brauchte kein Arzt zu sein, um auf den ersten Blick festzustellen, daß der Frau nicht mehr zu helfen war.
Neben ihr auf dem Teppich lag ein großkalibriger Revolver.
Ich beugte mich vorsichtig über die Frau.
Offensichtlich hatte man hier einen Selbstmord vortäuschen wollen, aber der Mörder schien in seinen Vorbereitungen durch mich gestört worden zu sein.
Wenn mich Mary Ann Mallone — denn sie mußte die Tote sein — nicht angerufen hätte, wäre ich vielleicht auf die Idee gekommen, sie könnte sich selbst getötet haben.
Aber die Anwesenheit des Unbekannten ließ keinen anderen Schluß zu. Die junge Frau war ermordet worden.
Sie konnte noch nicht lange tot sein.
Plötzlich wurde die Stille durch schrilles Klingeln unterbrochen. Ich schloß leise die Tür hinter mir zu und ging in den Flur. Mit der 38er in der Hand öffnete ich die Tür. Draußen stand Phil. Ich hatte ihn in der Aufregung völlig vergessen.
Er trat ein, ich schloß hinter ihm die Tür wieder ab.
Phil warf einen kurzen Blick auf die am Boden liegende Gestalt. Dann wandte er sich mir zu.
»Zu spät gekommen, Jerry? Wie kam es zu diesem Anruf? Du konntest mir am Telefon nicht viel sagen. Woher kennst du diese Frau?«
Ich unterrichtete Phil genau von dem Anruf und von dem, was mir hier in der Wohnung geschehen war. Dann verständigte ich die Mordkommission.
Gemeinsam überlegten wir, in welchem Zusammenhang Mary Ann Mallone mit der Ermordung Jan van der Moolens stand, aber wir kamen zu keinem Ergebnis. Eine Durchsuchung der Wohnung blieb erfolglos. Ich fand lediglich ein Foto, das in einem silbernen Rahmen auf einem kleinen Damenschreibtisch stand. Vorsichtig ließ ich es in meine Tasche gleiten.
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