04 - Mein ist die Rache
begonnen. MacPherson wühlte in einem Kleiderhaufen, der auf dem Boden lag, bis er ein gestreiftes Sweatshirt fand. Er reichte es Havers, die es betont langsam begutachtete, ehe sie es Peter weitergab.
Lynley seufzte und rieb sich den Nacken. »In Ordnung. Ich geb' dir Bescheid.«
Im Taxi auf der Fahrt nach St. Pancras versuchte St. James, jeden Gedanken an seine Schwester aus seinem Kopf zu verbannen und sich statt dessen auf den Entwurf eines Aktionsplans zu konzentrieren. Aber jede Überlegung wurde von einer Flut von Erinnerungen überrollt, die seinen bedrängenden Wunsch unterstrichen, Sidney zu retten.
Um Lynleys Wunsch zu erfüllen, war er rasch in Paddington vorbeigefahren. Von dort aus hatte er noch einmal in der Wohnung seiner Schwester angerufen, in ihrer Agentur und bei Cotter, einzig von der Notwendigkeit getrieben, sie aufzuspüren.
Die ganze Zeit spürte er Deborahs Gegenwart. Sie stand neben ihm, hörte ihm zu und ließ ihn kaum aus den Augen. Er sah die Besorgnis in ihrem Gesicht, während er immer von neuem wählte, nach seiner Schwester fragte, jedesmal umsonst. Er merkte, daß er vor allem vor Deborah den wahren Grund seiner Angst unbedingt geheimhalten wollte. Sie wußte, daß Sasha tot war; sie glaubte, seine Sorge drehe sich einzig um Sidneys Sicherheit. So sollte es bleiben.
»Kein Glück?« fragte sie, als er sich schließlich vom Telefon abwandte.
Er schüttelte nur den Kopf und ging zu dem Tisch, auf dem immer noch die Gegenstände lagen, die sie aus Mick Cambreys Wohnung mitgenommen hatten. Er sah sie durch, stapelte sie, klopfte sie zu einem sauberen Bündel zurecht, das er faltete und in die Jackentasche schob.
»Kann ich irgend etwas tun?« fragte sie. »Bitte. Ich komme mir so nutzlos vor. Laß mich doch helfen.« Sie sah bekümmert und ängstlich aus. »Ich kann nicht glauben, daß jemand Sidney etwas antun will. Sie hat sich einfach irgendwohin zurückgezogen, meinst du nicht, Simon? Sie muß vielleicht allein sein, um mit Justins Tod fertigzuwerden.«
Er wußte, daß es so war. Er hatte den Schmerz seiner Schwester in Cornwall gesehen. Und dennoch hatte er sie alleine fortgehen lassen.
»Du kannst nichts tun«, sagte er und ging zur Tür. Sein Gesicht war wie versteinert. Er wußte, daß Deborah seine Antwort als Zurückweisung auffassen würde, vielleicht als unreifen Vergeltungsschlag für alles, was seit ihrer Rückkehr zwischen ihnen vorgefallen war.
»Simon! Bitte!«
»Im Moment ist nichts zu tun.«
»Laß mich dir helfen, sie zu suchen.«
»Das ist nicht nötig, Deborah. Warte du hier auf Tommy.«
»Ich will aber nicht ...« Sie brach ab. Er sah ihre plötzliche Erregung. Deborah holte einmal tief Atem. »Ich komme mit in die Cheyne Row.«
»Das ist doch sinnlos. Da ist Sidney nicht.«
»Das ist mir gleich. Ich komme trotzdem mit.«
Er hatte weder die Zeit noch das Verlangen, mit ihr zu streiten. Er ging einfach, zwang sich, wieder das ursprüngliche Ziel ins Auge zu fassen, das ihn nach London zurückgeführt hatte, der geplante Besuch bei der Firma Islington-London, von dem er hoffte, daß er die Wahrheit hinter Mick Cambreys Ermordung enthüllen würde. Wenn sich hier eine Verbindung zwischen dem Mord und den Todesfällen herstellen ließ, würde das zu Sidneys Entlastung dienen. Deswegen mußte er dem Geist von Mick Cambrey folgen. Ein Besuch bei Islington-London schien ihm die Möglichkeit dazu zu bieten.
Die Firma Islington-London hatte ihren Sitz in einem wenig attraktiven Bau in der Nähe der Gray's Inn Road. Er wirkte nackt und funktional, Eigenschaften, die von den Architekten der industriellen Revolution hoch geschätzt worden waren. Es lag etwas von der Straße zurückgesetzt, vorn ein kleiner, durch ein Tor abgeschlossener Hof, in dem ein halbes Dutzend Autos standen und ein Lieferwagen mit der Aufschrift »Islington« auf der Seite und einer großen Karte Großbritanniens, hier und dort mit weißen Sternen besetzt, die wohl die Filialen des Unternehmens bezeichneten. Es waren insgesamt zehn, die nördlichste in Inverness, die südlichste in Penzance. Ein ziemlich großes Unternehmen, wie es schien.
Im Foyer wurde der Straßenlärm durch dicke Mauern und Musikberieselung gedämpft. Schicke Sofas standen an den Wänden mit großen modernen Bildern im Stil David Hockneys. Auf der anderen Seite tippte ein junges Mädchen mit unwahrscheinlich langen magentaroten Fingernägeln auf einer Schreibmaschine. Das Haar paßte in der Farbe zu den
Weitere Kostenlose Bücher