0420 - Aibons Schlangenzauber
zog als ziehender Schmerz bis in den Nacken.
Sollte er hineingehen?
Die Tür stand offen. Er riskierte es, drehte den Kopf und blickte in das Zimmer.
Er sah Eileen und die Schlange.
Beide verstanden sich prächtig. Nie würde der Mann dieses Bild vergessen. Seine Tochter saß auf ihrem Stuhl vor dem Schreibtisch.
Die Schlange streckte sich auf dem Boden aus, aber ihren Kopf hatte sie so gedreht, daß er auf dem Schoß des Mädchens lag.
Eileens Finger fuhren durch das feuerrote Haar. Sie sprach Worte, die ihr Vater nicht verstand. Sie waren einzig und allein an den roten Ryan gerichtet, den sie erlösen wollte.
Obwohl sie Pernell sehen mußte, ging ihr Blick durch ihn hindurch. Seine Tochter, das erkannte der Mann glasklar, war für ihn eine Fremde geworden.
Er zog sich zurück. Plötzlich wußte er genau, daß er in seinem Haus nichts mehr zu suchen hatte. Er war ein Fremder zwischen seinen eigenen vier Wänden. Jemandanderer hatte die Kontrolle übernommen. Um wen es sich dabei handelte, konnte er nicht mit Gewißheit sagen. War es die Schlange, war es vielleicht ein ihm unbekannter Zauber? Er glaubte mittlerweile an alles. Wer so etwas durchgemacht hatte, dem war nichts mehr fremd, und den konnte auch nichts überraschen.
Er schritt die Treppe hinab und mußte sich am Handlauf abstützen. Fast hatte er das Gefühl, kein Mensch mehr zu sein, weil er alles so automatisch tat.
Das Gehen, die Bewegungen seines linken Arms, seine Gedanken. Am Ende der Treppe drehte er sich nach rechts, da er ins Wohnzimmer wollte, um dort einige Dinge zu überdenken. Er spürte den kalten Hauch, der durch die zerstörte Fensterscheibe drang, aber der störte ihn nicht einmal. Er fiel in den Sessel, blieb dort sitzen und drehte den Kopf nach rechts, wo sich die Bar im Schrank befand.
Auf der Straße waren Stimmen zu vernehmen. Das mußten Nachbarn sein, die das zerstörte Fenster entdeckt hatten. Die Leute trauten sich aber nicht, anzuklingeln. Sie riefen.
»Ja, ja, schon gut!« brüllte Hendricks zurück. »Ich habe es bereits gesehen. Das wird repariert!« Neugierige Ärsche, dachte er und begann gleichzeitig zu lachen. Wenn die wüßten, daß in seinem Haus eine Riesenschlange hockte, würden sie allesamt fluchtartig die Gegend verlassen und sich woanders ansiedeln.
Pernell Hendricks stand auf. Er holte Flasche und Glas. Sitzend schenkte er ein. In das Gluckern der Flüssigkeit hinein erklang sein hartes Lachen.
Noch nie war er innerhalb kurzer Zeit so sehr von einem Extrem in ein anderes gefallen. Für ihn sah die Welt einmal hell und strahlend aus, dann wieder düster und schwarz.
Pernell Hendricks trank. Er setzte das Glas an und spürte den Whisky an seinen Lippen. Er brannte, aber das machte ihm nichts.
Hendricks brauchte den Alkohol. Was er damit betäuben wollte, wußte er selbst nicht genau. Auf jeden Fall trank er das Glas bis zur Hälfte leer, verschluckte sich noch, hustete und schaffte es erst, sich nach einer Weile zu fangen. Mit hochrotem Kopf blieb er sitzen. Seine Augen füllten sich mit Tränen, er verzog den Mund, nahm wieder einen kräftigen Schluck und blieb danach wie eine Statue sitzen.
Er hatte etwas gehört.
Es waren Schritte, und die drangen wahrlich nicht von draußen an seine Ohren, sondern mußten im Haus aufgeklungen sein.
Da war jemand!
In noch immer sehr steifer Haltung drückte er seinen Körper vor und stierte auf die Tür. Er spürte die Kälte auf seinem Rücken. Sie lag dort wie eine Gänsehaut.
Plötzlich verstummte das Geräusch.
Der ungebetene Besucher wartete ab. Wahrscheinlich stand er zwischen Küche und Flur. Er wußte wohl nicht, wo er hingehen sollte, und Hendricks sah auch keinen Grund, nach ihm zu rufen.
Wenig später vernahm er die Schritte erneut. Diesmal kamen sie auf das Wohnzimmer zu, und plötzlich tauchte in der Tür die Gestalt auf. Es war ein hochgewachsener blonder Mann.
Sie sahen sich an.
Pernell Hendricks hatte das Gefühl, seziert zu werden. Irgendwie schämte er sich, daß er getrunken hatte, denn der Fremde machte auf ihn den Eindruck eines Besuchers, der genau wußte, was er wollte.
»Guten Abend!« hörte Hendricks die Stimme.
»Ja und?« Er sprach mit einer Stimme, die ihm selbst fremd vorkam. »Wer sind Sie, und was wollen Sie?«
»Ich bin gekommen, um Ihnen zu helfen, Mister. Mein Name ist Sinclair, John Sinclair…«
***
Suko und Shao wußten Bescheid. Sie kannten die Männer in Grau, und sie taten – nichts. Sie standen da, starrten
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