0842 - Teufels-Schönheit
mit großer Mühe. »Ich weiß, daß er hier in London einen Stützpunkt hat. Er steht in keinem Telefonbuch, aber es muß Menschen geben, die wissen, wo sie ihn finden können. Und du, Michail, gehörst dazu.«
»Ich weiß nichts.«
Das genau wollte sich Wladimir nicht gefallen lassen. Bevor ich eingreifen konnte, stießen seine Arme vor. Mit beiden Händen griff er zu und wuchtete den Mann von seiner Sitzbank hoch, der sich überhaupt nicht wehrte und alles mit sich geschehen ließ. Sein Blick veränderte sich nicht mal. Er hing wie eine Puppe im Griff des Mannes und wurde hin- und hergeschüttelt. Sein Kopf flog vor und zurück. Wladimir schnauzte ihn an, und ich war nicht in der Lage, die Worte zu verstehen, denn er sprach einfach zu schnell.
Die anderen schauten zu. Sie sahen hin, mir kam es wie Glotzen vor. Waren das überhaupt noch Menschen - normale Menschen? Wenn ja, dann standen sie unter dem Bann einer Person, die Romanow hieß. Er hatte sie voll und ganz unter Kontrolle. Sie waren arme Teufel, Flüchtlinge, die in der Fremde ihr Glück versuchen wollten und nun diesem Magier in die Arme gelaufen waren.
Jugend, Schönheit - sie hatten beides bekommen. Aber um welchen Preis, und wie war so etwas möglich?
Wladimir ließ Michail nicht los. Der stand da wie unbeteiligt. Er tat überhaupt nichts, um die Situation zu ändern, sein Blick war nach wie vor ins Leere gerichtet, und genau das machte Golenkow wahnsinnig.
Er zerrte ihn herum. Diesmal verstand ich seine Worte wieder, auch wenn sie schnell gesprochen worden waren. »Wenn du nicht bald dein Maul aufmachst, geht es dir verdammt dreckig!« Er unterstrich dieses Versprechen, indem er den Mann losließ, aber auf seine Art und Weise. Er stieß ihn so heftig von sich weg, daß Michail quer durch den Raum flog und mit dem Rücken gegen die Wand prallte.
Dort blieb er stehen.
Wladimir atmete heftig aus und wischte über seine Stirn. Er schaute mich an.
»Mußte das sein?« fragte ich.
»Ja, John, das mußte sein. Ich will diesen Romanow haben, und ich werde ihn bekommen. Ich werde mich nicht mehr länger an der Nase herumführen lassen, das ist mir schon häufig genug passiert. John, dieser Romanow muß gestellt werden, er…«
Mitten im Satz brach Wladimir ab. Es war auch ihm aufgefallen, daß sich Michail noch immer an der Wand hielt und nicht zu Boden gesunken war. Er stand da wie angenagelt, und dieser Vergleich stimmte tatsächlich, wie wir wenig später erfuhren.
Zuerst hörten wie ein Stöhnen. Es drang aus seinem zuckenden Mund. Er bewegte die Schultern, als wollte er sich durch diese Rucke von etwas befreien.
Ich ging auf ihn zu.
Es war nicht so trübe, als daß ich sein Gesicht nicht hätte erkennen können, und bei ihm änderte sich etwas. Es war nicht nur das Rollen der Augen, das mich aufmerksam werden ließ, es war einfach die Veränderung der Haut.
Sie verlor nicht nur die Frische, ihr ging auch die Glätte abhanden. Sie rollte sich zusammen, sie wurde gequetscht, als wären unsichtbare Hände dabei, sie zusammenzudrücken, und sie sah plötzlich schlaff aus, eben so, wie sie auch in Wirklichkeit war.
Der Mann veränderte sich.
Michail wurde zu dem, der er einmal gewesen war. Als junger Mann hatte er zwar existieren, aber nicht normal leben können, jetzt kam sein wahres Alter durch.
Warum?
»Verdammt, ich begreife nichts«, flüsterte Wladimir, der ebenso fasziniert war wie ich.
Die Lösung bekamen wir sehr bald durch Michail selbst präsentiert. Dabei redete er nicht, er bewies es uns, denn er konnte sich an der Wand, an der er schon zu lange gestanden hatte, nicht mehr halten. Im Zeitlupentempo kippte er nach vorn, als hätte ihn jemand leicht gegen den Rücken gestoßen.
Er fiel uns entgegen.
Ich sprang auf ihn zu, bevor es Wladimir tun konnte, und fing ihn auf.
Michail federte in meine ausgestreckten Arme, und mir gelang ein Blick auf seinen Rücken.
Da sah ich die Wunde.
Sie war rund, rot und häßlich. In der Größe vergleichbar mit dem Umriß einer Faust, aber keiner von uns hatte ihm etwas getan. Keiner hatte ihn angerührt, als er an der Wand stand.
Mein Blick fiel dorthin!
Aus der Wand hervor stach ein langer Nagel, der schon Rost angesetzt hatte. Mit der Spitze war der Nagel in den Rücken des Mannes eingedrungen und hatte ihn verletzt.
Das hatten wir nicht gewollt.
Der Mann lag bäuchlings auf meinen Armen. Ich hörte sein Stöhnen und kriegte auch die Bewegungen mit, als er sich umdrehen wollte. Ich
Weitere Kostenlose Bücher