Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
087 - Der sentimentale Mr. Simpson

087 - Der sentimentale Mr. Simpson

Titel: 087 - Der sentimentale Mr. Simpson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
Vom Netzwerk:
versöhnte mit vielem.

Die Doppelgängerin
    Ein Abend Anfang März. Schneetreiben, glitschiger Matsch auf den Bürgersteigen. Mr. Lester Cheyne hatte es trotzdem nicht eilig. Seine gemächlichen Schritte deuteten darauf hin, daß er ein erfreuliches Erlebnis auskostete und nur ungern der gemütlichen Eingangshalle von Northumberland Court und seinem Luxusappartement zustrebte.
    Der Schnee fiel in großen Flocken, die im Licht der Bogenlampen märchenhaft glitzerten. Die Bäume entlang der Themse reckten ihre weißen Äste zum Himmel empor; zwei Schlepper zogen schimmernde Spuren durchs dunkle Wasser, in dem sich die grünen und roten Positionslichter spiegelten. Von einer fernen Brücke blinkten gelblich leuchtende Lampen herüber .
    Lester, der den Pelzkragen seines Mantels hochgeschlagen hatte, genoß diesen Anblick. Er spürte jene volle innere Zufriedenheit, wie sie jedem Mann zuteil wird, der eine schwierige Aufgabe gelöst hat.
    Es war Hauptverkehrszeit. Die Büros leerten sich, auf den Gehsteigen eilten die Leute in dichten Scharen dahin. Er schlenderte am Geländer vor dem Temple dahin, um die Berufstätigen nicht zu behindern. Auch er gehörte zu den Fleißigen, aber auf anderem Gebiet. Er liebte es, sich als General zu betrachten, der in der Stille seines Studierzimmers ausgeklügelte und erfolgreiche Vorstöße gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Feind plante.
    Lester Cheyne war ein schlanker, gutaussehender Mann von fünfunddreißig Jahren, wirkte aber wesentlich jünger. Wenn ihn jemand fremden Leuten als erfolgreichen Rechtsanwalt vorstellte, trafen ihn häufig ungläubige Blicke. Er hatte aber wirklich Erfolg, und das bewiesen nicht zuletzt seine große Limousine und das Appartement mit den echten Gobelins.
    Bei seinem Dahinschlendern hatte es sich nicht vermeiden lassen, daß er ab und zu angestoßen wurde. Man brummte irgendeine Entschuldigung und verschwand wieder in der Nacht.
    Aber das Mädchen im braunen Mantel tat mehr: es berührte ihn mit dem Arm, rutschte aus, wurde von dem lächelnden Lester aufgefangen und prägte sich dadurch für immer in sein Gedächtnis ein.
    Die Dame rutschte seitlich ab und warf die Arme hoch.
    Er fing sie gerade noch auf, und sie glitt nach vorne, so daß er sie eine Weile in den Armen hatte.
    »Tut mir leid - entschuldigen Sie vielmals!«
    Sie fand wieder sicheren Boden unter den Füßen. Zwanzig - vielleicht auch jünger. Oder älter. Er war seiner Sache nicht sicher.
    »Verzeihen Sie - ich bin ausgerutscht.«
    »Das ist mir auch aufgefallen«, meinte er lachend.
    Wenn Sie lächelte, wurde sie sogar ausgesprochen hübsch. Man traf solche Frauen nicht oft.
    »Ich wußte schon, daß mir heute abend irgend etwas passieren würde«, meinte sie mit der freundlichen Art eines Menschen, der sich auf der Höhe der Situation zeigt.
    »Ich bin heute früh zu Hause schon einmal ausgerutscht und im Büro dann noch über einen Teppich gestolpert. Aller guten Dinge sind drei.«
    Sie lächelte ihm schwach zu, wie das vor einem Abschied nehmenden Nicken ähnlich ist, und beschleunigte ihre Schritte. Kurz danach schoß ihre Hand nach vorn und umklammerte die oberste Stange des Geländers. Er eilte ihr nach.
    »Lassen Sie sich lieber begleiten - meine Schuhe haben rutschfeste Sohlen. Wie weit müssen Sie noch?«
    »U-Bahnstation Charing Cross«, sagte sie. »Vielen Dank, wenn es Ihnen nicht zuviel Mühe macht.«
    Sie wohnte in einem Junggesellinnenheim in Hampstead und arbeitete in einem Büro am Kings Bench Walk. Sie hatte zwei der Theaterstücke gesehen, von denen er sprach.
    Schäbig? Nicht ganz. Billig angezogen, das beschrieb sie besser. Er konnte sich ausrechnen, wieviel der Mantel gekostet hatte - im Kaufhaus, versteht sich.
    Mr. Lester Cheyne hatte seinen Anteil an Abenteuern hinter sich; unter anderem war da auch eine junge Stenotypistin gewesen. Aber dieses Gesicht ließ sich mit nichts vergleichen. Er kam auch nicht von dem Gefühl los, daß er sie irgendwo schon einmal gesehen hatte.
    »Haben Sie schon gegessen?« fragte er.
    »Ich? Du lieber Himmel, nein! Ich esse erst, wenn ich zu Hause bin - und Hunger habe. Heute abend fehlt es daran bestimmt nicht!« Er schien zu überlegen.
    »Wenn ich Sie zum Essen einladen würde, hielten Sie es dann für nötig, einen Polizisten zu rufen?« fragte er.
    »Ich glaube nicht. Man kann nicht das ganze Jahr über zwischen dem Temple und Charing Cross hin- und hereilen, ohne gelegentlich solche Einladungen zu bekommen«,

Weitere Kostenlose Bücher