09 - Befehl von oben
hatte, aber das war ein selbstverständlicher Teil der Übung. Anders zu verfahren wäre ein Verstoß gegen die Spielregeln gewesen. Sie mußten geschützt werden, solange sie ihrem Prinzipalen die Treue hielten, und sie vor unangenehmen Wissen zu bewahren war Bestandteil des Abkommens.
»Sie sind also nie richtig zurückgetreten, Ed?« fragte ihn sein Stabschef. Er wollte die Lüge hören, um Klarheit zu haben, so daß er jedem sagen konnte, es sei die reine Wahrheit, nach bestem Wissen.
»Ich habe den Brief noch«, erwiderte der frühere Senator und ehemalige Vizepräsident - darum ging es ja - und klopfte auf seine Jackettasche. »Ich hatte die Sache mit Brett besprochen, und wir kamen überein, daß der Wortlaut ein ganz bestimmter sein müßte, und was ich bei mir hatte, war nicht so ganz in Ordnung. Ich sollte am nächsten Tag mit einem neuen wiederkommen, natürlich ordnungsgemäß datiert, und das Ganze wäre in aller Ruhe gelaufen - aber wer hätte denn denken können ...?«
»Sie könnten ganz einfach, nun, die Sache vergessen.« Dieser Teil des
Tanzes mußte genau im Takt der Musik ablaufen.
»Ich wünschte, ich könnte es«, sagte Kealty nach kurzer, nachdenklicher
Pause, dann aber mit einer betroffenen, leidenschaftlichen Stimme. Auch für ihn war dies gute Übung. »Aber, mein Gott, der Zustand, in
dem das Land sich befindet. Ryan ist kein schlechter Kerl, kenne ihn seit
Jahren.
Aber er hat nicht die leiseste Ahnung, wie man eine Regierung führt.« »Es gibt diesbezüglich kein Gesetz, Ed. Nichts. Keine Richtlinie aus der
Verfassung, und wenn, auch keinen Supreme Court, der das entscheiden
könnte.« Das kam von Kealtys oberstem juristischem Berater, ehemals
legislativer Assistent. »Das ist rein politisch. Es sieht nicht gut aus«, fügte
er hinzu. »Es sieht nach ...«
»Das ist der Punkt«, stellte der Stabschef fest. »Wir tun das aus
nichtpolitischen Gründen, um den Interessen des Landes zu dienen. Ed
weiß, er begeht politischen Selbstmord.« Gefolgt von sofortiger und
glorreicher Wiederbelebung, live auf CNN.
Kealty erhob sich, begann, in dem Zimmer auf und ab zu gehen, und
gestikulierte, während er sprach. »Laßt die Politik aus dem Spiel, verdammt
noch mal! Die Regierung ist vernichtet! Wer wird sie wieder aufbauen?
Ryan ist ein gottverdammter CIA Spook. Er hat keine Ahnung, wie der
Regierungsapparat funktioniert. Wir haben einen Supreme Court zu wählen,
Politik zu machen. Wir müssen den Kongreß wiederaufbauen. Das Land
braucht Führung, und er weiß nicht die Bohne darüber. Ich mag mein
eigenes politisches Grab schaufeln, aber es muß jemand aufstehen und
unser Land beschützen!«
Keiner lachte. Seltsam, daß es ihnen überhaupt nicht in den Sinn kam.
Die Mitarbeiter waren beide seit über zwanzig Jahren bei EJK, hatten sich
so fest an diesen speziellen politischen Mast gebunden, daß ihnen nun gar
keine andere Wahl blieb. Dieses Stück Theater war genauso notwendig wie
die Verse des Chores bei Sophokles oder Homers Beschwörung der Muse.
An die Poetik der Politik hatte man sich zu halten. Immerhin ging es ums
Land und um die Nöte des Landes und Eds Dienst für das Land über
eineinhalb Generationen hinweg, denn er war dagewesen und hatte ihn die
ganze Zeit geleistet, wußte, wie das System funktionierte, und wenn alles
am Boden lag, konnten nur Menschen wie er helfen. Schließlich war die
Regierung das Land. Sein ganzes Berufsleben hatte er dieser Theorie
gewidmet.
Das alles glaubten sie tatsächlich, und nicht weniger fest als seine
beiden Mitarbeiter war Kealty an denselben Mast gebunden. Wie sehr dies
von seinem Ehrgeiz ausging, konnte nicht mal er sagen, denn Glaube wird
einem zur Tatsache, wenn man ihn ein Leben lang verkündet hat.
Gelegentlich hatte es zwar den Anschein, als ob das Land von seinen
Überzeugungen wegdriften wollte, doch wie ein Evangelist keine andere
Wahl hat, als die Leute inständig zur Umkehr zum wahren Glauben zu
gemahnen, hatte Kealty die Pflicht, das Land zu den philosophischen
Ursprüngen zurückzuführen, für die er fünf Legislaturperioden lang im
Senat eingetreten war und eine kürzere Zeit als Vizepräsident. Über fünfzehn Jahre lang hatte er als Gewissen des Senats gegolten, so genannt von den Medien, die ihn ob seiner Ansichten, seines Glaubens und seiner
politischen Familie liebten.
Vielleicht wäre es günstiger, wenn er hier die Medien konsultiert hätte,
wie so oft in der Vergangenheit, wenn er sie über Gesetzesvorlagen
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