09 - Denn sie betrügt man nicht
Maliks Senffabrik. Ein kurzer Besuch bei der Familie Malik hatte ihr genügt, um zu erfahren, daß Sahlah mit ihrem Vater und ihrem Bruder zusammen in der Firma arbeitete. Eine nachlässig gekleidete, dickliche Frau mit einem Kind auf der Hüfte und einem zweiten an der Hand, einem Schielauge und feinem, aber dennoch unübersehbarem dunklen Flaum auf der Oberlippe hatte ihr die Auskunft gegeben. Sie hatte sich Barbaras Dienstausweis angesehen und gesagt: »Ach, zu Sahlah wollen Sie? Zu unserer kleinen Sahlah? Du meine Güte, was hat sie denn angestellt, daß die Polizei mit ihr sprechen möchte?« Doch in den Fragen schwang ein genüßlicher Unterton, die gespannte Erwartungsfreude einer Frau, die entweder in ihrem Leben wenig Abwechslung kannte oder etwas gegen ihre Schwägerin hatte. Sie hatte Barbara sogleich über ihre Beziehung zu Sahlah Malik aufgeklärt. Sie sei die Ehefrau Muhannads, des einzigen Sohns der Familie, hatte sie gesagt, und diese beiden - sie wies mit Stolz auf die Kinder - seien Muhannads Söhne. Und bald - wobei sie vielsagend in Richtung ihres Bauches nickte - werde es einen dritten Sohn geben, den dritten in drei Jahren. Einen dritten Sohn für Muhannad Malik.
Blablabla, dachte Barbara. Diese Frau, fand sie, hatte dringend ein Hobby nötig, wenn das ihr einziges Gesprächsthema war. Sie sagte: »Ich hätte Sahlah gern gesprochen. Vielleicht könnten Sie ihr Bescheid sagen.«
Aber das ging nicht. Sahlah war in der Fabrik. »Arbeit ist immer die beste Medizin, wenn man Kummer hat, nicht wahr?« behauptete sie. Doch wieder zeigte ihr Gesicht einen wonnigen Ausdruck, der in krassem Widerspruch zu ihren teilnahmsvollen Worten stand. Barbara fand die Frau gruslig.
Sie hatte sich also verabschiedet und war zur Firma gefahren, und als sie sich jetzt dem Gebäude näherte, nahm sie die Quittung aus dem Schmuckgeschäft aus ihrer Tasche und steckte sie in ihre Hosentasche.
Die Luft drinnen war schal, und ein Farn neben dem Empfang schien kurz davor, seinen Geist aufzugeben. Die junge Frau, die am Computer saß, wirkte bemerkenswert frisch, obwohl ihr Anzug kein Stückchen Haut frei ließ und ihr dunkles Haar, das zu einem dicken Zopf geflochten war, der ihr über den Rücken bis zur Taille herabhing, größtenteils unter einem traditionellen Schal verborgen war.
Auf dem Empfangstisch stand ein Namensschildchen, Barbara wußte also, daß sie nicht weiter nach Sahlah Malik zu suchen brauchte. Sie zeigte ihren Dienstausweis und stellte sich vor.
»Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?«
Die junge Frau blickte zu einer Tür mit einer Glasscheibe in der oberen Hälfte, durch die man irgendwelche Büros erkennen konnte. »Mich?«
»Sie sind doch Sahlah Malik?«
»Ja, aber ich habe schon mit der Polizei gesprochen, wenn es sich um Haytham Querashi handeln sollte. Ich habe gleich am ersten Tag mit ihnen gesprochen.« Auf ihrem Schreibtisch lag ein langer Computerausdruck, eine Liste mit Namen, wie es schien. Sie nahm einen gelben Filzstift aus der Schreibtischschublade und begann, verschiedene Namen auf der Liste entweder zu unterstreichen oder mit einem Bleistift durchzustreichen.
»Haben Sie da auch von dem Armband berichtet?« fragte Barbara sie.
Sie sah nicht von ihrer Arbeit auf, aber Barbara bemerkte, wie sie flüchtig die Augenbrauen zusammenzog. Es hätte ein Runzeln der Konzentration sein können - falls das Markieren von Namen Konzentration erforderte -, es konnte aber auch ein Ausdruck von Verwirrung sein.
»Von dem Armband?« wiederholte sie.
»Ein Schmuckstück von einem gewissen Aloysius Kennedy. Aus Gold. Mit einer Gravur des Wortlauts ›Das Leben beginnt jetzt‹. Sagt Ihnen das etwas?«
»Ich verstehe die Frage nicht«, entgegnete die junge Frau. »Was hat ein goldenes Armband mit Haythams Tod zu tun?«
»Das weiß ich nicht«, versetzte Barbara. »Vielleicht gar nichts. Ich dachte, Sie würden mir das vielleicht sagen können. Das hier« - sie legte die Quittung auf den Tisch -»befand sich unter seinen Sachen. Eingesperrt übrigens. Haben Sie eine Ahnung, warum? Oder wie es überhaupt in seinen Besitz gekommen ist?«
Sahlah schob die Schutzkappe über den gelben Stift und legte den Bleistift weg, ehe sie die Quittung zur Hand nahm. Sie hatte sehr schöne Hände, mit schlanken Fingern und kurzgeschnittenen Nägeln, die glatt und gepflegt wirkten. Sie trug keine Ringe.
Barbara wartete auf ihre Reaktion. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie eine Bewegung in dem Büro hinter der
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