09 - Denn sie betrügt man nicht
und einer Retrofrisur, die an die frühen sechziger Jahre erinnerte, das andere ein Kind, das mit ernster Miene vor dem Weihnachtsmann stand, und auf dem dritten Bild war die ganze glückliche Familie in Stufenformation, Kind auf Mutters Schoß, Vater hinter beiden stehend, die Hände auf Mutters Schultern. Armstrong sah auf diesem Foto erstaunt aus, als wäre er ganz durch Zufall und sehr zu seiner Überraschung in die Rolle des Familienvaters geraten.
Die Tatsache, daß seine Zeit hier begrenzt war, hatte ihn nicht davon abhalten können, sich häuslich einzurichten. Barbara stellte sich ihn vor, wie er an diesem Morgen mit den Fotos in der Aktentasche geschäftig hereingekommen war, die Bilder mit einem Taschentuch abgestaubt und sie, fröhlich vor sich hin summend, aufgestellt hatte, bevor er sich an die Arbeit gemacht hatte. Diese Vorstellung schien jedoch nicht recht zu seinem jetzigen Verhalten zu passen. Immer wieder warf er besorgte Blicke auf Barbara, als hätte er Angst, sie werde gleich seinen Schreibtisch durchsuchen. Emily machte sie schließlich miteinander bekannt.
Armstrong sagte: »Oh! Noch eine ...?« Hastig schluckte er hinunter, was ihm auf der Zunge lag. Schließlich sagte er: »Meine Schwiegereltern« und fuhr mit wachsendem Selbstvertrauen fort: »Die Zeit weiß ich nicht mehr genau, aber ich weiß mit Sicherheit, daß ich am Freitag abend mit ihnen gesprochen habe. Sie wußten, daß es Mikey nicht gutging, und haben uns angerufen.« Er lächelte. »Ich hatte das vergessen, weil Sie gefragt haben, ob ich angerufen hätte. Es war genau umgekehrt.«
»Können Sie uns die Zeit wenigstens ungefähr sagen?«
fragte Emily.
»Wann sie angerufen haben? Es muß nach den Nachrichten gewesen sein. Auf ITV.«
Die um zehn Uhr begannen, dachte Barbara. Sie beobachtete den Mann mit zusammengekniffenen Augen und fragte sich, inwieweit das, was er da erzählte, spontane Erfindung war und wie schnell er, sobald sie und Emily gegangen waren, zum Telefon greifen würde, um sich die Unterstützung seiner Schwiegereltern zu sichern.
Während Barbara sich dies durch den Kopf gehen ließ, legte Emily einen anderen Gang ein. Sie kam auf Haytham Querashi zu sprechen und fragte Armstrong nach seiner Beziehung zu dem Mann. Sie sei, behauptete der Produktionsleiter auf Zeit, gut gewesen, ausgezeichnet; wenn man Armstrong glauben durfte, waren sie praktisch Blutsbrüder gewesen.
»Und er hatte hier im Werk keine Feinde, soweit ich sehen konnte«, schloß Armstrong. »Im Gegenteil, um ganz ehrlich zu sein, die Leute in der Fabrik waren begeistert, als er kam.«
»Und nicht traurig, daß Sie gehen mußten?« fragte Emily.
»Nein, wohl nicht«, bekannte Armstrong. »Die meisten unserer Arbeiter sind Pakistanis, und es ist verständlich, daß ihnen einer ihrer eigenen Leute als Vorgesetzter weit lieber ist als ein Engländer. Das ist doch eigentlich ganz natürlich, oder?«
Er blickte von Emily zu Barbara, als wartete er darauf, daß eine von ihnen ihm eine Bestätigung geben würde. Als keine von beiden es tat, kehrte er zu seinem früheren Gedankengang zurück.
»Es gab also im Grunde niemanden. Wenn Sie hier unter den Arbeitern nach einem Motiv suchen, wüßte ich nicht, wie Sie eins finden sollten. Ich bin erst seit ein paar Stunden wieder hier, und nach allem, was ich soweit gesehen habe, herrscht hier unter den Leuten nichts als aufrichtige Trauer.«
»Kennen Sie jemanden namens Kumhar?« fragte Barbara. Sie setzte sich zu Emily und Armstrong an den Tisch.
»Kumhar?« Armstrong runzelte die Stirn.
»F. Kumhar. Ist Ihnen der Name bekannt?«
»Nein. Ist das jemand, der hier arbeitet? Ich kenne eigentlich jeden in der Fabrik ... Nun, das gehört dazu, wenn man die Produktion leitet. Wenn es also nicht jemand ist, der eingestellt wurde, als Mr. Querashi hier war, und den ich noch nicht kennengelernt habe ...«
»Miss Malik meint, es wäre vielleicht eine Aushilfskraft, die als zusätzliche Hilfe bei einem Großauftrag eingestellt wurde.«
»Ein Teilzeitarbeiter?« Armstrong sah Emily an. »Wenn Sie gestatten ...?« sagte er, als glaubte er, er stünde unter Aufsicht. Er ging zu einem der Regale, nahm einen Ordner heraus und trug ihn zum Tisch. »Wir nehmen es mit unseren Unterlagen sehr genau«, bemerkte er. »Mr. Malik kann es sich in seiner Position nicht leisten, illegale Arbeitskräfte einzustellen.«
»Ist das denn hier in der Gegend ein Problem?« fragte Barbara. »Soviel ich weiß, versuchen die
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