09 - Denn sie betrügt man nicht
Hegarty? Wir untersuchen einen Einbruch (oder einen Überfall oder einen Handtaschendiebstahl oder einen tätlichen Angriff, es spielte nie eine Rolle, was es war) und würden gern wissen, wo Sie sich an dem fraglichen Abend aufgehalten haben. Es wäre nett, wenn sie uns Ihre Fingerabdrücke dalassen würden. Nur um Sie von jedem Verdacht zu befreien, natürlich. Und so ging das unentwegt, bis einem, wenn man seine Ruhe haben wollte, nichts anderes übrigblieb, als seine Zelte abzubrechen, weiterzuziehen und anderswo neu anzufangen.
Cliff wußte, daß er das jederzeit tun konnte. Er hatte es ja schon früher getan. Aber damals war er noch allein gewesen.
Jetzt, wo er eine feste Beziehung hatte - nicht nur irgend so eine Klette, sondern jemanden mit einem Job, einer Zukunft und einer anständigen Wohnung in Jaywick Sands - dachte er nicht daran, sich wieder hinausdrängen zu lassen. Denn während Cliff Hegarty sein Geschäft überall führen konnte, war es für Gerry DeVitt nicht so leicht, im Baugewerbe Arbeit zu finden. Und gerade jetzt, wo es ganz danach aussah, als sollte die langgeplante Stadterneuerung tatsächlich Wirklichkeit werden, sah Gerrys eigene Zukunft sehr rosig aus. Er würde bestimmt nicht die Tapeten wechseln wollen, wenn nun endlich die Aussicht bestand, ordentlich Geld zu verdienen.
Nicht, daß Gerry einzig Geld im Kopf hatte, dachte Cliff. Das Leben wäre verdammt viel einfacher, wenn es so wäre. Wenn Gerry nichts anderes im Sinn hätte, als jeden Morgen brav zur Arbeit zu zuckeln und bis zum Umfallen auf dem Bau am Pier zu schuften, wäre alles in bester Butter. Er würde abends hundemüde heimkommen und nur an Essen und Schlafen denken. Er würde an die Prämie denken, die die Shaws ihm versprochen hatten, wenn er es schaffte, das Restaurant so schnell hochzuziehen, daß es zum nächsten Feiertag eröffnet werden konnte. Und er würde sich nicht um andere Dinge kümmern.
Wie er das offensichtlich und sehr zu Cliffs Beunruhigung an ebendiesem Morgen getan hatte.
Cliff war um sechs Uhr in die Küche gekommen, nachdem ihn die plötzliche Wahrnehmung, daß Gerry nicht mehr neben ihm im Bett lag, aus seinem unruhigen Schlaf gerissen hatte. Er war in seinen Bademantel geschlüpft und hatte Gerry voll bekleidet am offenen Fenster vorgefunden, wo er offensichtlich schon eine ganze Weile herumgestanden hatte. Vom Fenster aus sah man ein Stück betonierte Promenade, dann den Strand und dahinter das Meer. Gerry hatte nur dagestanden, einen Becher Kaffee in der Hand, und seinen Gedanken nachgehangen, etwas, was Cliff stets nervös machte.
Gerry war eigentlich kein Mensch, der seine Gedanken für sich behielt: Ein Paar zu sein hieß für ihn, alles miteinander zu teilen, und das wiederum hieß, tiefschürfende Gespräche zu führen, Selbstentblößung zu betreiben und ständig »die Beziehung zu hinterfragen«. Cliff konnte solchen Beziehungskram eigentlich überhaupt nicht ausstehen, aber er hatte gelernt, sich damit abzufinden. Dies war immerhin Gerrys Wohnung, und selbst wenn es nicht so gewesen wäre, er mochte Gerry eben. Deshalb nahm er sich zusammen und bemühte sich, gute Miene zum bösen Sag-die-Wahrheit-Spiel zu machen.
In letzter Zeit jedoch hatte sich die Situation auf eine schleichende Art verändert. Gerrys Sorgen um den Stand ihrer Beziehung schienen sich verflüchtigt zu haben. Er hatte aufgehört, dauernd darüber zu sprechen, und er hatte, was bedenklicher war, aufgehört zu klammern. Dafür hatte Cliff jetzt das Gefühl, klammern zu müssen. Was schlichtweg idiotisch war. Was Cliff stocksauer machte, weil sonst immer er derjenige war, der Raum brauchte, und Gerry derjenige, der ihm keinen lassen wollte.
Cliff hatte sich zu ihm ans Küchenfenster gestellt. Über die Schulter seines Geliebten hinweg hatte er gesehen, daß sich leuchtende Bänder Morgenlichts über das Wasser zu schlängeln begannen. In ihrem Glanz tuckerte ein Fischerboot nach Norden. Die dunklen Silhouetten der Möwen hoben sich vom Himmel ab. Cliff hatte wenig Sinn für die Schönheit der Natur, doch er hatte immerhin einen Blick dafür, wenn sich eine Stimmung zu stiller Kontemplation anbot.
Und Gerry hatte das Angebot dieses Morgens offensichtlich wahrgenommen. Er schien tief in Gedanken, als Cliff sich zu ihm gesellte.
Cliff legte seine Hand auf Gerrys Nacken und war sich dabei bewußt, daß die Rollenverteilung in der Vergangenheit genau umgekehrt gewesen wäre. Gerry hätte die zärtliche Geste gemacht,
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