09 - Denn sie betrügt man nicht
wieder den kräftig schwitzenden Mr. Ian Armstrong vor sich, wie er von Chief Inspector Barlow in die Mangel genommen wurde. »Seine Schweißdrüsen haben auf Hochtouren gearbeitet«, meinte sie.
»Deshalb würde ich ihn nicht streichen.«
»Und wenn seine Schwiegereltern die Geschichte vom Telefonat am Freitag abend bestätigen?«
»Dann, denke ich, sollten wir uns die Unterlagen der Telefongesellschaft vornehmen.«
Emily lachte leise. »Du bist ein echter Terrier, Sergeant Havers. Wenn du mal Lust hast, das Yard mit einem netten Posten an der Küste zu vertauschen, nehm' ich dich sofort in mein Team.«
Barbara wurde ganz warm bei diesem Lob der Kollegin. Aber sie gehörte nicht zu den Leuten, die sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen pflegten. Deshalb kramte sie jetzt ihren Wagenschlüssel aus der Tasche und sagte: »Okay. Ich möchte Sahlahs Geschichte mit dem Armband nachprüfen. Wenn sie es wirklich am Samstag nachmittag vom Pier ins Wasser geworfen hat, hat sie wahrscheinlich jemand gesehen. Sie ist ja nicht gerade unauffällig in ihrem Aufzug. Soll ich dann auch gleich mal versuchen, mir diesen Trevor Ruddock zu schnappen? Wenn er am Pier arbeitet, kann ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«
Emily nickte. »Tu das. Ich werde mich inzwischen um diesen Rakin Khan kümmern, den Muhannad mir so empfohlen hat. Obwohl ich kaum Zweifel daran habe, daß er das Alibi bestätigen wird. Er wird doch sicher wollen, daß sein Bruder im Glauben - wie hat unser lieber Muhannad es doch formuliert - den Kopf hochhalten kann. Was für ein schönes Bild!« Sie lachte kurz und ging zu ihrem Wagen.
Sie winkte einmal, dann brauste sie los nach Colchester, zu einem weiteren Alibi.
Die erste Wiederbegegnung mit dem Vergnügungspier von Balford seit ihrem sechzehnten Sommer war nicht die Reise in die Vergangenheit, die Barbara erwartet hatte. Der Pier, über dessen Eingang jetzt ein bogenförmiges Schild mit der Aufschrift Shaws Vergnügungspark in bunter Neonschrift prangte, hatte sich stark verändert. Doch der frische Anstrich, die neue Beplankung, die wie gestärkt wirkenden Liegestühle, die aufgemöbelten Karussells und Buden und die moderne Spielhalle, die alles vom Flipper bis zu Videospielen bot, konnten nichts an den Gerüchen ändern, die ihr stets ihre jährlichen Besuche in Balford in Erinnerung bringen würden. Der Geruch von Pommes und Fisch, Hamburgern, Popcorn und Zuckerwatte vermischte sich mit dem Salzgeruch des Meeres. Und auch die Geräusche waren unverändert: Kindergeschrei und -gelächter, das Klirren und Scheppern und Klingeln aus der Spielhalle, die Musik der Dampforgel, die das Auf und Ab der Zirkuspferde auf ihren glänzenden Messingpfosten begleitete.
Barbara legte auf dem Weg zum Pierende eine Pause ein, lehnte sich gegen das glatte weiße Geländer und zündete sich eine Zigarette an.
Das Wasser unter ihr hob und senkte sich unablässig. Beim Rauchen sah sie den Wellen zu und fragte sich, warum die Nordsee, egal, zu welcher Jahreszeit, immer aussah wie schmutzige Waschlauge.
»Schau nur, wie Daddy den Ball wirft, Stevie!« rief eine Mutter. Barbara wandte sich zum Pier um und beobachtete Daddy, der sich abmühte, an der Wurfbude einen Plüschtweety zu erringen, der binnen weniger Tage zweifellos in der Ecke liegen würde.
»Darf ich Autoscooter fahren? Bin ich groß genug dafür?« quäkte ein Mädchen.
»Schau in die Kamera, Donny! Schau in die Kamera!«
Barbara lächelte. Obwohl so viele Jahre vergangen waren, hatte es auf dem Pier keine grundlegenden Veränderungen gegeben.
Selbst die Teenager drückten sich unverändert dort herum: lässig an die Wand gelehnte Jungs und langgliedrige Mädchen, die eine ungezwungene Sexualität ausstrahlten, mit der sie einander anzogen und in Atem hielten.
Barbara nahm einen letzten Zug und schnippte die Zigarette ins Wasser.
Der Pier ragte in gerader Linie ins Meer hinaus und verbreiterte sich an seinem Ende keilförmig. Barbara ging dort hinaus, wo an der Renovierung der alten Jack 'Awkins Cafeteria gearbeitet wurde und von wo Sahlah Malik angeblich das Armband ins Wasser geworfen hatte, das sie für ihren Verlobten gekauft hatte.
Aus dem ausgeweideten Bau der alten Imbißstube klangen laute Stimmen, die das Donnern von Werkzeugen auf Metall und das laute Zischen eines Schweißbrenners zu übertönen suchten. Die Hitze schien in pulsierenden Wellen aus dem Gebäude zu kommen, und als Barbara hineinspähte, spürte sie, wie sie ihr ins Gesicht
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