09 - Denn sie betrügt man nicht
liebenswert. Ich habe eine Tochter, die Ihren Theo gern kennenlernen würde. Er ist doch noch frei? Ich sollte sie mal zu einer Tasse Tee einladen, wenn ich meine Pause mache. Ich könnte mir vorstellen, daß die beiden sich gut verstehen, meine Donna und Ihr Theo. Na, was halten Sie davon? Hätten Sie nicht gern eine nette Frau für Ihren Enkel, Mrs. Shaw? Meine Donna könnte Ihnen gerade jetzt, während Ihrer Genesungszeit, eine große Hilfe sein.«
Auf keinen Fall, dachte Agatha. Das allerletzte, was sie jetzt brauchen konnte, war ein blödes Flittchen, das seine Klauen in Theo schlug. Was sie jetzt brauchte waren Ruhe und Frieden, damit sie ihre Kräfte für den bevorstehenden Rekonvaleszenzkampf sammeln konnte. Ruhe und Frieden waren Mangelware, wenn man in einem Krankenhausbett lag. Darum wollte sie möglichst schnell weg von hier. In einem Krankenhausbett wurde man nur beglotzt, betatscht, befummelt und bemitleidet. Und darauf konnte sie gut verzichten. Das Mitleid war das schlimmste. Sie haßte Mitleid. Sie selbst hatte für niemanden Mitleid, und sie wollte auch von keinem Mitleid haben. Lieber ließ sie sich die Aversion anderer gefallen - genau das, was sie für diese tatterigen menschlichen Wracks auf der Esplanade immer empfunden hatte -, als sich gelähmt und hilflos erleben zu müssen, ein Bündel Mensch, über das man sprach, anstatt mit ihm zu sprechen. Hinter der Aversion verbargen sich Angst und Furcht, die man letztlich zum eigenen Vorteil ausschlachten konnte. Hinter dem Mitleid verbarg sich die Überlegenheit des anderen, etwas, dem Agatha in ihrem Leben nie ausgesetzt gewesen war. Und sie würde sich dem auch jetzt nicht aussetzen lassen, schwor sie sich.
Wenn sie zuließ, daß irgend jemand Macht über sie gewann, wäre sie besiegt. Einmal besiegt, wären ihre Pläne für Balfords Zukunft vernichtet. Nichts würde nach ihrem Tod von Agatha Shaw bleiben als die Erinnerungen, die ihr Enkel hatte und die er nach seinem Ermessen - zum rechten Zeitpunkt natürlich - an die Nachwelt weitergeben würde. Aber konnte sie sich dann darauf verlassen, daß Theo ihrem Andenken treu blieb? Er würde dann andere Verpflichtungen haben. Wenn also ihr Andenken gewahrt, wenn ihrem Leben vor dem Ende ein Sinn gegeben werden sollte, würde sie selbst zu Werke gehen müssen. Sie würde die Spieler in Position bringen müssen. Und ebendas war sie zu tun im Begriff gewesen, als dieser verfluchte Schlaganfall sie getroffen und ihre Pläne durchkreuzt hatte.
Wenn sie jetzt nicht vorsichtig war, würde dieser schmierige, ungewaschene Malik die Gelegenheit ergreifen, um zu handeln. Er hatte ja schon damit angefangen, als ihr Sitz im Stadtrat vakant geworden war und er sich wie ein Aal hineingeschlängelt hatte, um ihren Platz zu übernehmen. Er würde noch viel weiter gehen, wenn er hörte, daß sie durch einen weiteren Schlaganfall außer Gefecht gesetzt war.
Balford würde sein blaues Wunder erleben, wenn man Akram Malik die Möglichkeit ließ, seine Pläne voranzutreiben. Da würde es nicht beim Falak-Dedar-Park bleiben. Ehe die Leute wüßten, wie ihnen geschah, würde auf dem Marktplatz ein Minarett stehen, an der Stelle ihrer schönen St.-John's-Kirche eine protzige Moschee, und an jeder Straßenecke von der Balford Road bis hinunter zum Meer würde es stinkende Tandoori-Küchen geben. Und dann würde die Invasion einsetzen: Scharen von Pakis mit Scharen verlauster Kinder, die eine Hälfte Sozialhilfeempfänger, die andere illegale Einwanderer, und alle zusammen würden sie die Kultur und die Traditionen des Landes, das sie sich als Bleibe ausgesucht hatten, verseuchen.
Sie wollen doch nur ein besseres Leben, Großmutter, würde Theo ihr zu erklären versuchen. Aber sie brauchte keine wohlwollenden und blauäugigen Erklärungen für das, was klar auf der Hand lag. Sie wollten ihr, Agatha Shaws, Leben. Sie wollten das Leben jedes Engländers, ob Mann, Frau oder Kind. Und sie würden weder rasten noch ruhen, noch zurückweichen, bis sie es hatten.
Und das galt ganz besonders für Akram, dachte Agatha. Dieser verdammte, widerliche, elende Akram. Faselte honigsüß von Freundschaft und Brüderlichkeit. Spielte mit seiner lächerlichen Gentlemen's Cooperative den großen Einiger. Aber all das Gerede und Handeln konnte Agatha nicht täuschen. Nichts als List, Mittel, um die Schafe, die die Menschen nun einmal waren, einzulullen und glauben zu machen, sie könnten sicher und wohlbehalten auf der Wiese grasen,
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