09 - Denn sie betrügt man nicht
Telefonaten, die er von hier aus selbst getätigt hat, arbeite ich noch. Wieviel Zeit habe ich? Und was ist mit seiner Post? Wir führen im allgemeinen nicht Buch über die Briefe, die unsere Gäste bekommen, aber wenn ich meine kleinen grauen Zellen ein bißchen strapaziere, fällt mir vielleicht etwas ein, was uns weiterhelfen kann.«
Barbara entging nicht, daß er »uns« sagte. »Alles ist hilfreich«, sagte sie. »Briefe, Rechnungen, Telefonate, Besucher. Alles.«
Treves' Gesicht leuchtete auf. »Ja dann, Sergeant ...« Er sah sich um. Es war niemand in der Nähe. Im Salon lief der Fernsehapparat mit einer Lautstärke, gegen die nicht einmal die drei Tenöre angekommen wären, dennoch tat Treves weiterhin so, als fürchtete er den Lauscher an der Wand. »Zwei Wochen vor seinem Tod hatte er tatsächlich Besuch. Ich habe vorher nicht daran gedacht, weil sie ja verlobt waren, warum hätte sie da nicht ...? Obwohl es ungewöhnlich war, sie in so einem Aufzug zu sehen. Ich meine, normalerweise läuft sie nicht so herum. Sie geht allerdings auch nicht viel aus. Das erlaubt die Familie nicht. Also kann ich eigentlich gar nicht sagen, daß ihr Aufzug so ungewöhnlich war.«
»Mr. Treves, wovon zum Teufel reden Sie überhaupt?«
»Ich spreche von der Frau, die Haytham Querashi besucht hat«, antwortete Treves, als wäre das selbstverständlich. Er schien pikiert, daß Barbara es nicht geschafft hatte, einem Gedankengang zu folgen, der zu einem absolut offenkundigen Ziel führte. »Zwei Wochen vor seinem Tod hatte er Besuch von einer Frau. Sie kam in diesem Aufzug, den diese Leute tragen. Sie muß gebrutzelt haben darunter, bei dieser Hitze.«
»Eine Frau im chador? Meinen Sie das?«
»Kann schon sein, daß sie es so nennen. Sie war jedenfalls von Kopf bis Fuß in Schwarz gemummt. Nur ihre Augen waren zu sehen. Sie kam herein und fragte nach Querashi. Er saß gerade im Salon und trank Kaffee. Die beiden haben da drüben bei der Tür, gleich neben dem Schirmständer, kurz miteinander geflüstert. Dann sind sie nach oben gegangen.« Mit frommer Miene fügte er hinzu: »Ich habe natürlich keine Ahnung, was die beiden da oben getrieben haben.«
»Wie lange waren sie oben?«
»Ich habe wirklich nicht auf die Zeit geachtet, Sergeant«, antwortete Treves listig. Dann, als sie gerade gehen wollte, sagte er: »Aber es war lang genug, wenn Sie mich fragen.«
Yumn streckte sich wohlig und wälzte sich auf die Seite. Sie betrachtete den Hinterkopf ihres Mannes. Unten im Haus hörte sie die gewohnten morgendlichen Geräusche, die ihr sagten, daß sie beide eigentlich längst auf sein müßten, aber sie genoß es, hier mit Muhannad zu liegen, wie in einen Kokon eingesponnen, in dem sie einzig miteinander beschäftigt waren, während der Rest der Familie den Tagesgeschäften nachging.
Träge hob sie die Hand zum langen Haar ihres Mannes - das aus seinem Pferdeschwanz befreit war - und schob ihre Finger hinein. » Meri-jahn «, murmelte sie.
Sie brauchte nicht auf den kleinen Kalender auf dem Nachttisch zu schauen, um zu sehen, welcher Tag des Monats vor ihnen lag. Sie führte gewissenhaft Buch über ihren »weiblichen Zyklus«, und sie hatte den Vermerk am vergangenen Abend gesehen. Wenn sie heute mit ihrem Mann schlief, konnte daraus eine weitere Schwangerschaft entstehen. Und das wollte Yumn mehr als alles andere - das war ihr noch wichtiger, als die verwöhnte Sahlah fest und auf Dauer in ihre Grenzen zu verweisen.
Zwei Monate nach Bishrs Geburt hatte sie den Wunsch nach einem weiteren Kind verspürt. Und sie hatte begonnen, ihren Mann regelmäßig zu umgarnen, um ihn zu reizen, den Samen eines weiteren Sohnes in die Erde ihres empfangsbereiten Körpers zu pflanzen. Selbstverständlich würde es ein Sohn werden, wenn es soweit war.
Yumn verspürte eine leichte körperliche Erregung, als sie Muhannad berührte. Er war so schön. Wie sehr die Heirat mit einem solchen Mann ihr Leben verändert hatte! Gerade sie, die älteste Schwester, die unattraktivste, nach Ansicht ihrer Eltern ein hoffnungsloser Fall, wenn es darum ging, einen Mann für sie zu finden, gerade sie -Yumn, im Vergleich zu ihren zarten, rehäugigen Schwestern der Trampel - hatte sich als außergewöhnliche Ehefrau eines außergewöhnlichen Mannes erwiesen. Wer hätte das für möglich gehalten? Ein Mann wie Muhannad hätte unter vielen Frauen wählen können, hätte es nicht nötig gehabt, sich von der Größe der Morgengabe, mit der ihr Vater ihn und seine
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