09 - Old Surehand III
vielmehr, daß wir Thibaut und die Squaw dort wiedersehen würden; die andern Personen konnten uns, Old Wabble ausgenommen, gleichgültig sein.
Nun mußten wir den alten Kontinentalpfad verlassen und uns seitwärts wenden; die Szenerie des Gebirges entfaltete sich in ihrer ganzen imponierenden Herrlichkeit um uns. Wir befanden uns in der Region der Taxodieenwälder und staunten oft über die außerordentliche Höhe der Bäume, obgleich dieselben noch lange nicht mit den riesigen Sequoias der Sierra Nevada zu vergleichen waren, unter denen es Giganten gibt, welche mehr als hundert Fuß im Umfang haben. Im Visalia-Distrikt steht eine Sequoia, welche einen Durchmesser von fünfunddreißig Fuß besitzt.
Wir ritten jetzt auf einer schräg hinaufziehenden, mehrere englische Meilen breiten Ebene, welche wie ein Dach zur Höhe stieg und vollständig von Wald bedeckt war. Das war nicht der in den Wipfeln dicht verschlungene, grün überdachte Urwald des Nordens, sondern die riesigen Koniferen standen einzeln, weit auseinander, sich kaum mit den Wipfelrändern berührend; ihr Streben ging nur in die Höhe, nicht nach Vereinigung. Die Sonnenstrahlen fanden den Weg zwischen sie herein und ließen nicht jenes Dunkel aufkommen, welches den nördlichen Wäldern eigen ist. Wir ritten langsam und stetig diese schiefe Ebene hinan, die ich noch nicht kannte. Winnetou aber war schon dagewesen und verkündigte uns:
„Jenseits dieser Höhe liegt das Kui-erant-yuaw (Bärental), in welchem man zu jeder Zeit den Grizzly trifft. Kein roter Mann schlägt da gern über Nacht sein Lager auf, denn der graue Bär der Felsenberge mag nicht gern ein Feuer dulden und greift den Menschen an, ohne erst von ihm belästigt worden zu sein.“
„Werden wir da übernachten?“ fragte Hammerdull.
„Nein.“
„Warum nicht? Ich hätte gar zu gern einen Grizzly geschossen.“
„Wir sind sieben Personen und müßten der Grizzlys wegen vier Wächter haben; da könnten nur drei von uns schlafen; wenn aber von sieben Männern, welche der Ruhe bedürfen, vier wachen müssen und nur drei schlafen dürfen, so ist das kein gutes Lager zu nennen.“
„Ob ich den Grizzly im Schlaf oder im Wachen schieße, das ist ja ganz egal, wenn ich ihn nur so treffe, daß er liegenbleibt.“
„Hat mein kleiner, dicker Bruder schon einmal ein Wild im Schlaf erlegt?“
„Hunderttausende! Wie oft habe ich geträumt, daß ich Büffel und andres Viehzeug gleich herdenweise geschossen habe! Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon.“
„Ja“, nickte der Lange. „Du hast die Heldentaten alle im Traum zu verrichten, und wenn du dann aufwachst, ist es mit dem Heldentum vorbei.“
„Blamiere mich nicht! Ich versuche wenigstens im Schlaf ein tüchtiger Kerl zu sein; du aber bleibst im Wachen und Schlafen das alte, ungeschickte Coon.“
„Ungeschickt? Bring mir den größten Grizzly her, den es auf Erden geben kann, so sollst du erfahren, wer geschickter ist, du oder ich!“
Die Art und Weise, in welcher Winnetou von den grauen Bären dieses Kui-erant-yuaw gesprochen hatte, interessierte mich in hohem Grade. Der Grizzly pflegt ja nicht in Gesellschaften beisammen zu leben; aus den Worten des Apachen aber war zu entnehmen, daß man da schon mehrere zugleich getroffen hatte. Darum erkundigte ich mich bei ihm:
„Leben die Bären dieses Tales nicht so einsam wie diejenigen anderer Gegenden?“
„Kein Grizzly ist gesellig“, antwortete er. „Es zieht sich sogar seine Frau von ihm zurück, sobald sie Junge hat, weil er ein sehr liebloser Vater ist und seine Kinder gern verzehrt. Aber wenn mein Bruder dieses Tal zu sehen bekommt, wird er sich nicht darüber wundern, daß die grauen Bären dort häufiger als sonst anzutreffen sind. Wenn die Büffel der Felsenparks sich auf der Wanderung befinden, müssen sie durch das Kui-erant-yuaw ziehen; das lockt die Bären herbei und hält sie fest. Die Gegend ist so abgelegen und zugleich auch so verrufen, daß selten ein Jäger sie aufsucht; es gibt Beeren in großer Menge, welche der Grizzly liebt, und in den wilden Seitenschluchten des Tales kann er wohnen, ohne von seinesgleichen belästigt zu werden. Dennoch kommen, besonders zur Paarungszeit, furchtbare Kämpfe zwischen ihnen vor, denn man hat die Überreste der Besiegten gefunden, denen es anzusehen war, daß sie von keinem Jäger erlegt worden waren. Wenn wir Zeit hätten, würden wir da bleiben, um zu jagen.“
Ja, wir hatten leider keine Zeit, und dennoch war es uns
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