09 - Old Surehand III
Laßt mich machen!“
An der offenen Seite unseres Lagerplatzes kam eine dunkle, schwere Masse langsam um die Ecke gerollt; es war der Bär; er hielt den Kopf schnüffelnd zu Boden gerichtet. Unsere Pferde schnaubten laut vor Angst. Die beiden Rappen drehten sich um, die Hinterhufe zur Verteidigung ihm zugerichtet. Ich durfte noch nicht schießen; die Kugel mußte ihn zwischen die Rippen hindurch ins Herz treffen; dazu war notwendig, daß er sich aufrichtete. Ich tat also einen Sprung auf ihn zu, um ihn auf mich aufmerksam zu machen, wich aber auch rasch wieder zurück, denn der Grizzly ist trotz seiner scheinbaren Plumpheit ein außerordentlich schnelles Tier.
Meine Absicht wurde erreicht: Kaum hatte er mich gesehen, so stand er aufrecht da, nicht weiter als sechs Schritte von mir entfernt. Da krachte auch schon mein Schuß. Es war, als ob der Bär einen Schlag von vorn bekäme und hintenüberstürzen wolle; er stürzte aber nicht, sondern wankte hin und her und tat dabei zwei Schritte vorwärts. Da gab ich ihm die zweite Kugel, die ihn niederwarf. Er zog, am Boden liegend, die Pranken an sich, als ob er jemanden umarmen und erdrücken wolle, wälzte sich auf die andere Seite, hierauf wieder herum, öffnete die Pranken und blieb dann liegen. Hierbei hatte er keinen Laut, nicht einmal einen Atemzug hören lassen. Der graue Bär hat keine eigentliche Stimme; der Kampf mit ihm ist meist ein stiller, stummer, doch grad das ist es, was diesen Kampf so ‚Rückenmark angreifend‘ macht, wie mein alter Sam Hawkens sich auszudrücken pflegte. Beim Donnergebrüll des Löwen schießt sich's besser!
„Er ist ausgelöscht!“ sagte Winnetou. „Die Kugeln gingen ihm beide in das Leben. Doch nähert euch ihm noch nicht! Der Grizzly hat ein zähes Leben; es kehrt zuweilen auf Augenblicke wieder.“
Die Schläfer waren natürlich bei meinem ersten Schuß aufgesprungen. Schahko Matto war still, ganz nach stolzer Indianerart. Treskow, obgleich kein Feigling, hatte sich nach ganz hinten zurückgezogen. Hammerdull drängte sich zwischen die Pferde hindurch bis her zu mir und rief:
„Ein Bär! Alle Teufel, wirklich ein Bär! Und diesen Kerl hab ich verschlafen! Ich kann doch nur eine Minute weggewesen sein, als er kam. Ich war so müde! Ich bin zornig auf mich; ich bin wütend! Ich könnte mir mit beiden Händen Ohrfeigen geben!“
„Tu das, lieber Dick, tu das gleich!“ ermahnte ihn Holbers.
„Schweig, altes Heupferd! Sich selbst zu ohrfeigen, dazu gehört weit mehr Geschick, als du zum Beispiel hast! Nein, daß grad mir so was passieren muß! Ich bin außer mir, ganz und gar außer mir!“
„So geh in dich, daß du wieder zu dir kommst!“
„Ob ich in mich oder zu mir gehe, das bleibt sich gleich, wenn nur diese Bestie nicht so dumm gewesen wäre, erst dann zu kommen, als ich grad wieder eingeschlafen war! Wenn so ein Bär nicht mehr Verstand hat, wer soll ihn dann haben, frage ich dich?!“
So drollig er seinen Ärger ausdrückte, er meinte es doch ernst. Der kleine, dicke Kerl hätte sich gewiß nicht gefürchtet; er wäre sicher auf den Bären losgegangen! Damit ist freilich nicht gesagt, daß er ihn auch glücklich erlegt hätte. Unbedachtsamer Mut kann leicht gefährlich werden. Da Hammerdull dem lebenden Grizzly nicht hatte entgegentreten können, so ging er jetzt, trotz der Warnung des Apachen, zu dem Toten hin, um uns zu zeigen, daß er sich nicht fürchte. Er drehte ihn, allerdings mit großer Kraftaufbietung, auf die andere Seite, zog ihm die Pranke hin und her und sagte:
„Er ist tot, Mesch'schurs, vollständig tot, sonst würde er sich das nicht gefallen lassen. Ich schlage vor, wir ziehen ihm die Handschuhe und die Stiefel samt seinem ganzen Fell vom Leibe herunter. Vom Schlafen ist doch jedenfalls nun keine Rede mehr!“
Da hatte er recht. Neben einem frisch erlegten Grizzly würde kein Jäger schlafen können. Wir mußten ein Feuer haben und gingen darum fast alle fort, um dürres Holz zu suchen. Als dieses dann brannte, sahen wir, daß es eine Bärin im Gewicht von gegen sieben Zentnern war, ein ausgezeichnet schönes Tier.
„Sie wird es sein, deren Fährte wir gesehen haben“, meinte Treskow.
„Nein“, antwortete Winnetou. „Die Spur war von einem viel schwereren Tier. Das ist nicht die Squaw des Bären, sondern er selbst. Wir werden ihn uns holen, wenn Surehand gekommen ist.“
Nun wurden die Messer gezogen, um der Bärensquaw die Handschuhe und die Stiefel samt dem Jagdrock auszuziehen.
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