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0959 - Der Fallbeil-Mann

0959 - Der Fallbeil-Mann

Titel: 0959 - Der Fallbeil-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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einfach weiter. Es war mir egal, wohin er wollte, aber zuvor wollte ich eine Aufklärung haben, und deshalb lief ich mit schnellen Schritten auf ihn zu. Auch wenn der Unbekannte mich gehört hatte, er tat nichts, um seinen Weg zu unterbrechen. Ich kam so dicht an ihn heran, daß ich in anfassen konnte, was ich auch tat. Meine rechte Hand legte ich auf seine rechte Schulter.
    Sofort zuckte die Hand wieder zurück. Die Haut war kalt. Auch schwammig.
    Wie alter Teig. So fühlte sich auch die Haut eines Toten an, eines lebenden Toten, eines Zombies.
    War er das?
    Ich zerrte ihn herum. Er machte die Bewegung mit, hielt sich aber nur mühsam auf den Beinen.
    Dann starrten wir uns an.
    »Kannst du sprechen?« fragte ich ihn.
    Er schwieg.
    »Wer bist du?«
    Der Unbekannte sagte nichts. Er hatte seine blassen Lippen zusammengepreßt.
    Ich würde nichts aus dieser fremden Gestalt herausbekommen, aber ich nahm ihren Geruch auf. Obwohl der Körper trocken war, roch er nach altem Wasser, nach Schlamm und Tang, und einige Reste klebten auch noch auf seiner Haut.
    Der Henker war es nicht. Daran konnte ich nicht glauben. Außerdem fehlte ihm die Kapuze. Aber er war auch kein Mensch, denn mir war mittlerweile aufgefallen, daß er nicht mehr atmete. Er konnte sich bewegen, ohne Luft holen zu müssen, und das wiederum machte ihn zum Zombie, also zu einem lebenden Toten, mit dem ich kaum eine Unterhaltung beginnen konnte.
    War er wichtig? War er nur eine Randfigur? Fragen, auf die ich leider keine Antwort fand, aber ich hatte mich bereits zu einem Experiment entschlossen.
    Ich wollte herausfinden, wie er auf den Anblick meines Kreuzes reagierte. Ich zog die Kette über den Kopf, das Kreuz würde in wenigen Sekunden freiliegen, aber dazu kam es dann doch nicht mehr.
    Hinter mir wurde die Tür geöffnet. Ich hörte das Keuchen einer Person und dann die Stimme der Oberin aus dem Kloster. »Lassen Sie es sein, Mr. Sinclair…«
    ***
    Der Tag fing ja gut an, wirklich. Da löste eine Überraschung die nächste ab, denn mit dem Auftauchen der Oberin hatte ich weiß Gott nicht gerechnet.
    Ich ging einen großen Schritt von der lebenden Leiche weg und drehte mich um.
    Schwester Anna stand vor der Tür. Sie schaute mich starr an, und zum erstenmal sah ich ihr Gesicht besser, ich kannte zahlreiche Nonnen, die in ihrem Leben die Fröhlichkeit des Klosters erlebten, die einen Sinn darin sahen, dem lieben Gott zu dienen. Und es machte ihnen Spaß, nicht so dieser Frau.
    Sie war kleiner als ich, trug eine grauschwarze Kutte. Unter der Kapuze schaute kein einziges Haar hervor. Wahrscheinlich wirkte ihr Gesicht deshalb so unnatürlich, beinahe schon wie ein Gemälde.
    Die dunklen Brauen waren dünn wie Striche, die schmalen Lippen blaß, die Haut von zahlreichen Falten durchzogen, was darauf schließen ließ, daß sie nicht mehr zu den Jüngsten gehörte.
    Ich wußte nicht, was sie ausstrahlte. Vielleicht waren es Verbitterung und Furcht, aber auch Resignation, wie mir schien.
    Ihr Ruf hatte mich im letzten Moment erreicht, und ich ließ das Kreuz unter der Kleidung. »Okay, Schwester«, sagte ich. »Sie sehen, daß ich Ihren Wünschen folge, aber ich denke mir, daß Sie eine gute Erklärung dafür haben.«
    »Ja, das habe ich.«
    »Ich höre.«
    Sie hob ihre rechte Hand und schüttelte den Kopf. »Nein, Mr. Sinclair, nicht sofort. Sie werden Ihre Antworten bekommen, aber es müssen gewisse Regeln eingehalten werden, die ich Ihnen erkläre.«
    »Zu lange möchte ich nicht warten. Wie Sie wissen, habe ich noch eine Aufgabe zu erledigen.«
    »Ja, das weiß ich, aber glauben Sie mir, wir können uns Zeit lassen. Es läuft uns nichts weg.« Nach diesen Worten verließ sie ihren Platz und ging dorthin, wo der Geköpfte lag. Sie blieb daneben stehen, senkte den Kopf, um sich den Toten genauer anzuschauen. Dann nickte sie und flüsterte: »Er hat also wieder zugeschlagen. Zweimal in der Nacht.«
    »Wobei der zweite Mord geschah, als ich mich bei Ihnen im Kloster aufhielt.«
    »Kann sein, aber ich sehe es nicht als Schuld an. Schuldig sind wir alle.«
    »Damit schließen Sie sich ein.«
    »Ja.« sagte sie nur und deutete auf den toten Lord. »Er hat einen Fehler begangen, den er mit seinem Leben bezahlte.«
    »Welchen?«
    »Er hätte sich nicht einmischen dürfen, dann wäre er sicherlich noch am Leben.«
    »Moment mal«, sagte ich, »einmischen? In was einmischen?«
    »In die Rache des Henkers.«
    So eine Antwort aus dem Mund einer Nonne zu hören, war schon

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