0968 - Ritter, Blut und Teufel
jeden Tag und jede Nacht im Museum sein und Wache halten.«
»Das stimmt.«
»Ich frage mich nur, was die Diebe mit einer gestohlenen Ritterfigur anfangen wollen.«
»Ganz einfach«, antwortete ich, stockte aber, weil mir nichts einfiel. Ich hatte mich zu weit vorgewagt und versuchte es mit einer nächsten Frage.
»Sie können sich nicht vorstellen, daß diese Figur gar nicht tot war, sondern durchaus lebendig ist.«
Er schaute mich an. Sein Mund stand wieder offen, und er wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. »Das ist doch irrsinnig«, flüsterte er. »Sie meinen wirklich…? Oder habe ich etwas Falsches gehört? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Sie glauben, daß dieser Ritter, diese Figur, die sie ja ist, lebt?«
Ich nickte. »Klar, das glaube ich.«
»Nein, so etwas ist nicht möglich.« Er schlug sich gegen die Stirn.
»Niemals, Mr. Sinclair.« Dann lachte er glucksend. Es war sicherlich auch Unsicherheit bei ihm, die meine Ausführungen hinterlassen hatten. Sein Lachen stoppte, er blickte sich um, aber es war niemand zu sehen, der ihm hätte gefährlich werden können. »Ähm«, er knetete seine rote Erdbeernase, »das haben Sie doch nur so gesagt…«
»Nein. Sehen Sie das Loch in der Decke?«
»Das habe ich gesehen.«
»Stimmt. Ich bin durch dieses Loch nach unten gefallen. Die Decke ist eingebrochen. Sicherlich nicht, weil ich dort oben getanzt habe. Das hatte schon andere Gründe.«
»Sie meinen wirklich den Ritter?«
»So ist es.«
Er senkte den Blick. »Ja, ich muß Ihnen glauben. Man sagte mir, daß Sie Polizist sind und die Morde aufklären wollen. Aber daß sie ein Ritter angegangen haben soll, der bei uns hier nur als Ausstellungsstück gestanden hat, nehme ich Ihnen nicht ab.«
»Jedenfalls ist er verschwunden.«
»Klar.«
»Und ich habe gegen ihn gekämpft.«
Greenburg senkte den Kopf. Er starrte zu Boden. Sein Mund verzog sich zu einem zuckenden Lächeln. Wahrscheinlich hatte er sich schon ein Gegenargument zurechtgelegt, nur traute er sich nicht, mir das zu sagen, und deshalb blieb er still.
»Hier kommen wir nicht weiter, Mr. Greenburg, und deshalb werde ich jetzt gehen.«
»Können Sie das denn?«
»Ich schaffe das schon. Bis zu meinem Hotel, Miller’s Inn, ist es ja nicht weit. Nur ein paar Schritte.«
»Ich könnte Sie ja stützen.«
»Dafür wäre ich Ihnen sogar dankbar.«
»Dann versuchen wir es mal.«
Ich rutschte von der Fensterbank, trat nur mit dem gesunden Fuß auf, während mich Greenburg an der rechten Seite abstützte und mein Gehen somit erleichterte.
Wir bewegten uns auf den Ausgang zu. Die Kühle an meinem Knöchel war verschwunden. Die unnatürliche Wärme drang wieder durch, und wenn ich mal aus Versehen mit dem Fuß auftrat, dann zuckte der Schmerz jedesmal hoch bis zu meinem Oberschenkel.
Wir verließen das Museum. Ich übergab Greenburg meinen Schlüssel, damit er abschließen konnte. Anschließend kam er wieder zurück. Dann humpelte ich die Treppe hinunter. Wir beide wurden gesehen, schließlich befand sich der Bau in der Ortsmitte, wo auch der meiste Verkehr herrschte, und es gab nicht wenige Leute, die uns aus großen Augen anschauten, wie wir die Stufen hinabhumpelten und anschließend den schlechten Weg über das Kopfsteinpflaster nahmen.
Wir befanden uns auf dem Marktplatz. Ich sah einen Brunnen und zwei Arbeiter, die lange Schläuche hielten, aus deren Düsen das Wasser schoß. Sie spritzten damit das Pflaster ab, auf dem vor kurzem noch die Marktstände gestanden hatten.
Der Weg zum Hotel stieg etwas an. Ich wohnte in einem Eckhaus, das aus roten Ziegeln errichtet worden war. Efeu rankte an der seitlichen Fassade hoch und bedeckte beinahe die gesamte Außenmauer. Die Fenster waren noch freigelassen worden, da wurden die Pflanzen immer beschnitten, und ich konnte auch das Fenster sehen, das zu meinem Zimmer gehörte.
Das Gehen war trotz allem eine Quälerei. Wenn das so weiterging und sich auch am nächsten Tag fortsetzte, mußte ich wirklich um Sukos Hilfe bitten. Ich stellte mir schon jetzt sein grinsendes Gesicht vor, wenn er mich sah.
Die Besitzerin hieß Edna Miller. Sie war nicht verheiratet, etwa vierzig, sehr resolut, und führte das Haus zusammen mit ihrem Bruder Don. Die Frau mit den blond gefärbten Haaren und der guten Figur bekam große Augen, als sie uns über die Eingangsschwelle humpeln sah.
»Was ist denn mit Ihnen geschehen, Mr. Sinclair?« hauchte sie und schlug die Hände über dem Kopf
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