10 - Der Ölprinz
vergießen. Wie wollt Ihr uns herausbringen?“
„Könnt ihr nicht nach oben?“
„Nein; das Loch ist zu.“
„Habt ihr keine Leiter?“
„Die Schufte haben sie hinaufgezogen.“
„Und Waffen?“
„Die haben wir; man konnte sie uns nicht abnehmen. Werde Euch später erzählen, wie wir in diese himmelblaue Tinte geraten sind.“
„Müßt es freilich sehr geistreich angefangen haben; ist ein wahres Meisterstück von Leuten wie ihr seid! Wer ist alles drin?“
„Gute Bekannte von Euch: ich, Stone, Parker, Droll, der Hobble-Frank und so weiter.“
„Auch Kinder?“
„Leider!“
„Well! So paßt genau auf, was ich Euch sage! Erst schiebt Ihr uns die Kinder heraus; aber sie dürfen keinen Laut von sich geben. Dann folgen die Damen, die hoffentlich auch still sind. Hieraufkommen diejenigen, welche den Westen nicht kennen und wenig Erfahrung besitzen. Es ist geraten, alle diese zuerst ins Freie zu bringen, damit sie schon heraus sind, wenn wir vielleicht entdeckt werden. Hier saßen drei Wächter, die wir überwältigt haben. Über euch sind auch drei, die uns leicht überraschen können. Wenn dies geschehen sollte, so muß ich schnell eingreifen: ich steig' hinauf und schlage sie nieder. Gelingt mir dies, so öffne ich euch das Loch und gebe euch eine Leiter herab, an welcher diejenigen, die sich noch drin befinden, schnell zu mir hinaufsteigen und mich unterstützen können. Also, die Erfahrenen von euch bleiben bis zuletzt drin. Habt Ihr alles verstanden?“
„Alles.“
„So macht los! Ich warte hier, um zunächst die Kinder in Empfang zu nehmen.“
In kurzer Zeit erschien ein Knabe im Loch. Old Shatterhand zog ihn heraus und langte ihn Winnetou zu, welcher ihn ergriff und dicht an die Mauer stellte. So wurde es mit allen Kindern und dann auch mit den Frauen gemacht. Das war eine schwere Arbeit, bei welcher Old Shatterhand, auf der Leiter stehend, alle seine Kräfte anstrengen mußte. Als es bis hierher geglückt war und Sam Hawkens ihm meldete, daß nun die Männer, zunächst die deutschen Auswanderer, folgen würden, antwortete er: „Die bedürfen, um die Leiter zu erreichen, meiner Hilfe nicht. Ich werde mich also entfernen, um die drei über euch befindlichen Wächter in die Augen zu nehmen.“
Er stieg zu Winnetou nieder, warf diesem einige leise, erklärende Worte zu und huschte dicht an der Mauer nach der linken Seite hin, wo die Leiter lag, an welcher sie auf diese Plattform gestiegen waren. Er zog sie herauf und lehnte sie an die nächste Etage, um da hinaufzusteigen.
Oben angekommen und das von dem Feuer erleuchtete Terrain musternd, sah er die großen Steine, welche auf den Deckel gelegt worden waren und diesen festhielten, so daß die Gefangenen nicht herausgekonnt hatten. Daneben lag die Leiter, welche von den Indianern, ehe sie den Deckel zuwarfen, emporgezogen worden war. Eine zweite Leiter führte zur nächsten Plattform empor. Die Wächter saßen so, daß zwei von ihnen ihm den Rücken zukehrten.
Old Shatterhand war auf dieses Dach gestiegen, um im Fall einer Entdeckung sofort bei der Hand zu sein. Im Fall es aber den Gefangenen bis auf den letzten Mann gelang, ins Freie zu kommen, wollte er hinabsteigen, ohne sich sehen zu lassen. So lag er still und wartete. Er rechnete nach, welche Zeit eine Person brauchte, um durch das Loch zu kriechen, und wie viele also schon heraus sein konnten. Eben sagte er sich, daß nun wohl schon der sechste an der Reihe sein werde, da ertönte eine schrille Frauenstimme laut durch die Nacht: „Herrjesses, Kantor, schtürzen Sie doch nich off mich!“
Sofort sprangen die drei Wächter auf, traten an den Rand der Plattform und blickten hinab. Sie sahen die befreiten Weißen; sie sahen auch den Apachen, der hoch aufgerichtet am Feuer stand. Sie erkannten ihn, und einer von ihnen rief, so daß es über das ganze Pueblo schallte: „Akhane, akhane, arku Winnetou, non-ton, schis inten!“
Diese Worte hießen zu deutsch: „Herbei, herbei; Winnetou, der Häuptling der Apachen ist da!“
Kaum war der Ruf erschollen, so ertönte es hinter ihnen ebenso laut: „Und hier steht Old Shatterhand, um die Gefangenen zu befreien. Winnetou, nimm die beiden Burschen in Empfang!“
Der weiße Jäger war zu gleicher Zeit mit den Wächtern auf- und auf diese zugesprungen. Während er die angegebenen Worte rief, schlug er einen von ihnen nieder und stieß die beiden andern über die Kante der Plattform, an welcher sie standen, hinab, wo sie von den
Weitere Kostenlose Bücher