1010 - Das Geheimnis der blutigen Hände
stand neben ihm. Die Hände hatte sie zu Fäusten geballt. Sie sah auch aus, als wäre sie mitten in einer Bewegung erstarrt.
Ich lief schnell zu ihnen. »Was ist denn?«
»Da ist die Frau!«
Mehr brauchte Bill nicht zu sagen, denn ich hatte sie auch entdeckt. Es war die handlose Person, die wir bereits über den Bach hatten gehen sehen.
Sie stand vor einem offenen Grab und redete mit einem Mann, der uns unbekannt war. Leider konnten wir nicht verstehen, was sie sagten, aber Freunde waren sie nicht, denn plötzlich bewegte sich der Mann und riß einen Spaten aus dem Lehmhügel neben dem Grab.
»Der ist doch verrückt!« keuchte Bill.
Der Mann schlug zu.
Wir hätten nicht eingreifen können, dazu waren wir einfach zu weit entfernt, aber es war auch nicht nötig. Was nun passierte, das hätte auch ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt, denn der Mann kam nicht dazu, der dunkelhaarigen, handlosen Frau den Spaten in den Kopf zu schlagen.
Auf einmal waren zwei Hände da.
Ihre Hände!
Sie griffen zu. Sie stoppten den Hieb, und der Spaten berührte nicht mal ein Haar.
Die Hände hatten Kraft. Während die Frau zuschaute, drückten sie den Mann mit seinem Spaten zurück. Wir bekamen noch mit, daß er stolperte und auf den Boden fiel.
»Los!« rief ich. »Ich kümmere mich um den Mann. Nehmt ihr euch die Frau vor!«
***
Flavio durchlitt Todesängste. Nie zuvor hatte er gespürt, wie es ist, wenn sich Hände wie Greifklauen um seine Kehle legten und eisenhart zudrückten.
Jetzt aber lag er rücklings auf dem harten Friedhofsboden, hatte den Spaten längst loslassen müssen und versuchte verzweifelt, sich gegen die Mordinstrumente zu stemmen.
Es war ein vergebliches Aufbäumen. Sein Körper zuckte hoch. Er hatte seine Finger in den Hals gekrallt und versuchte auch, sie unter die fremden zu schieben, was so gut wie unmöglich war, denn die anderen drückten einfach zu hart in sein Fleisch, als wollten sie sich und es tief in die Kehle hineinpressen.
Sein Mund stand offen. Er röchelte nur noch. Luft kriegte er nicht. Seine Augen waren weit geöffnet, und er sah über sich den Himmel, auf dem eine Garnitur aus dunkleren Wolken lag, die ihm nicht mehr als solche vorkamen, sondern ihn eher an bösartige Geschöpfe aus einer anderen Welt erinnerten.
Alles Böse fiel auf ihn nieder. Das Böse, das auch in ihm steckte, fing an, sich zu rächen. So wie er gesündigt hatte, gab es nur den Tod. Noch immer versuchte er voller Verzweiflung, sich aus dem Würgegriff zu befreien. Er rollte sich dabei selbst über den Boden, kämpfte um sein Leben, das ihm auf einmal so erbärmlich vorkam. Aber die Würgeklauen waren brutal und gnadenlos.
Niemand kam ihm zu Hilfe. Die anderen schauten zu, wie die blutigen Hände der Jessica Malfi Rache nahmen. Sie kannten nur eines: den gnadenlosen Tod.
Die Welt verschwamm vor seinen Augen. Sie löste sich in Schatten auf, und auch seine Bewegungen wurden langsamer. Das Rollen des Körpers, das Schlagen der Arme, das Zucken der Beine, all dies war nicht mehr als ein letztes Aufbäumen vor dem Tod.
Bis plötzlich ein Schatten über ihn fiel. Er glaubte auch, eine Stimme zu hören, aber er konnte nicht verstehen, was sie sagte.
Flavio die Mestre rechnete mit seinem Tod!
***
Der Schatten gehörte mir ebenso wie die Stimme. Ich hatte den Mann erreicht und laut gesprochen.
Ich hatte ihn regelrecht angeschrieen, denn ich wollte, daß er noch einen Schimmer der Hoffnung bekam.
Dann kümmerte ich mich um die Hände.
Da sie die Kehle des Mannes umklammerten, lagen oder standen sie für mich günstig. Ich klammerte meine Hände um die kurzen Armstümpfe der Würgeklauen und spürte unter meiner warmen Haut das kalte Totenfleisch.
Hart drückte ich zu. Ich zerrte die Hände zurück oder versuchte es zumindest.
Sie hielten fest.
Die Finger waren krumm. Die Nägel sah ich gar nicht, so tief hatten sie sich schon in das Fleisch des Halses gesenkt. Ich wußte auch, daß diese Hände nicht mehr normal waren, die hatten einen dämonischen Antrieb bekommen, aber ich gab nicht auf.
Und ich hatte Glück.
Durch mein Rucken und Zerren war es mir tatsächlich gelungen, den Griff zu lockern. Ich strengte mich noch mehr an. Auf eine Hilfe konnte ich nicht rechnen. Die Menschen waren einfach zu entsetzt, und so machte ich allein weiter.
Ich hörte mich selbst keuchen, weil die Anstrengung einfach zu stark war. Aber dann war es geschafft. Die Hände rutschten tatsächlich vom Hals des
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