12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
Flüßchen zu.
Ein vielstimmiger Schrei der Überraschung oder des Grimmes erscholl hinter ihm.
„Dein Gefangener flieht“, rief ich dem Anführer zu; „laß uns ihm nachjagen!“
Zu gleicher Zeit zog ich mein Pferd herum und sprengte dem Flüchtigen nach. Halef hielt sich an meiner Seite.
„Nicht so nahe bei mir, Halef! Weiter ab, reite so, daß sie nicht schießen können, ohne uns zu treffen!“
Es war eine scharfe, wilde Jagd, welche jetzt begann. Zum Glück dachten die Verfolger zunächst nur daran, Mohammed Emin einzuholen, und als sie sahen, daß sein Pferd den ihrigen überlegen sei, und zu den Waffen griffen, war der Vorsprung, welchen er gewonnen hatte, bereits zu groß geworden. Auch waren ihre Schießgewehre nicht gut zu gebrauchen, da ich mit Halef nicht in gerader Linie vor ihnen her, sondern in einem kurzen Zickzack ritt und dabei mir alle mögliche Mühe gab, mein Pferd als störrisch zu zeigen. Bald blieb es stehen und bockte, dann schnellte es davon, warf sich mitten im Lauf zur Seite, drehte sich auf den Hinterfüßen um seine eigene Achse, schoß eine Strecke weit nach rechts oder links und schwenkte dann in haarscharfer Drehung in die rechte Richtung ein. Halef tat ganz dasselbe, und so kam es, daß die Türken nicht schießen konnten, aus Furcht, uns zu treffen.
Der Haddedihn hatte sein Pferd furchtlos in die Fluten des Khausser getrieben. Er kam glücklich hinüber, und ich mit Halef auch; aber ehe es den anderen gelang, uns dies nachzutun, hatten sie uns einen bedeutenden Vorsprung gelassen. So flogen wir auf unsern guten Tieren vorwärts, immer nach Nordwesten zu, bis wir ungefähr zwei Wegstunden zurückgelegt hatten und auf die Straße trafen, welche von Mossul über Telkeïf direkt nach Raban Hormuzd führt und ganz parallel derjenigen zieht, auf welcher wir vorhin Khorsabad, Dscheraijah und Baadri erreichen wollten. Erst hier hielt der Haddedihn sein Pferd an. Er sah nur uns beide, denn die anderen waren längst hinter dem Horizont verschwunden.
„Preis sei Gott!“ rief er. „Effendi, ich danke dir, daß du ihnen die Hände von den Flinten genommen hast! Was tun wir nun, damit sie uns verlieren?“
„Wie bist du in ihre Hände gekommen, Scheik?“ fragte der kleine Halef.
„Das wird er uns später sagen; jetzt ist keine Zeit dazu“, antwortete ich. „Mohammed Emin, kennst du das sumpfige Land, welches zwischen dem Tigris und dem Dschebel Maklub liegt?“
„Ich bin einmal durch dasselbe geritten.“
„In welcher Richtung?“
„Van Baascheika und Baazani über Ras al Aïn nach Dohuk hinüber.“
„Ist der Sumpf gefährlich?“
„Nein.“
„Seht ihr dort im Nordost jene Höhe, welche man vielleicht in drei Stunden erreichen kann?“
„Wir sehen sie.“
„Dort werden wir wieder zusammentreffen, denn hier müssen wir uns trennen. Die Straße dürfen wir nicht verfolgen, denn sonst würde man uns sehen und unsere Richtung erraten. Wir müssen in den Sumpf, und zwar einzeln, damit die Verfolger, wenn sie doch hierher kommen sollten, nicht wissen, welcher Spur sie zu folgen haben.“
„Aber unsere Arnauten und Baschi-Bozuks, Sihdi?“ frage Halef.
„Die gehen uns jetzt nichts an. Sie sind uns überhaupt mehr hinderlich als förderlich; sie bringen mir keinen größeren Schutz als den, welchen mir meine Pässe und Briefe gewähren. Halef, du gehst hier ab und behältst die südlichste Linie; ich werde in der Mitte reiten, und der Scheik bleibt im Norden: – jeder wenigstens eine halbe Wegstunde von dem andern.“
Beide trennten sich von mir, und auch ich bog von dem gebahnten Weg ab und in den Sumpf hinein, der allerdings nicht die Eigenschaften eines wirklichen Morastes hatte. Die Gefährten entschwanden meinem Auge, und ich strebte einsam dem Ziel zu, welches wir uns gesteckt hatten.
Bereits seit Tagen befand ich mich in einem Zustand der Spannung, wie ich ihn seit langer Zeit nicht an mir bemerkt hatte. Es gibt kein Land der Erde, welches so zahlreiche und hohe Rätsel birgt, wie der Boden, welchen die Hufe meines Pferdes berührten. Auch ganz abgesehen von den Ruinen des assyrischen und babylonischen Reiches, welche hier auf jedem Schritt zu sehen sind, tauchten jetzt vor mir die Berge auf, deren Abhänge und Täler von Menschen bewohnt werden, deren Nationalität und Religion nur mit der größten Schwierigkeit zu entwirren sind. Lichtverlöscher, Feueranbeter, Teufelsanbeter, Nestorianer, Chaldäer, Nahumiten, Sunniten, Schiiten, Nadschijeten,
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