12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
Dschesidi nicht so schnell fertig werden; darauf kannst du dich verlassen. Und dann ist die kurze Frühlingszeit vorüber.“
„Maschallah, was hat der Frühling mit diesem Krieg zu tun, Effendi?“
„Sehr viel. Sobald die heißen Tage kommen, verdorren die Pflanzen, und die Ebene trocknet aus. Die Bedawi ziehen sich mit ihren Herden nach den Bergen des Schammar oder des Sindschar zurück, und das Heer des Gouverneur müßte elend verschmachten.“
„Du hast recht, Effendi. So wollen wir unsern Weg getrost fortsetzen; aber ich kenne ihn nicht.“
„Wir haben rechts die Straße nach Aïn Sifni, links den Weg nach Dscherraijah und Baadri. Bis Baadri aber darf man uns nicht sehen, und so wird es zweckmäßig sein, uns immer am Ufer des Khausser zu halten. Haben wir Dscherraijah hinter uns, so brauchen wir uns nicht mehr zu verbergen.“
„Wie weit haben wir bis Baadri?“
„Drei Stunden.“
„Herr, du bist ein großer Emir. Du bist aus einem weit entfernten Land und kennst diese Gegend besser als ich!“
„Wir wollen nach Amadijah, und ich habe mich genau nach der Gegend erkundigt, durch welche wir reisen müssen. Das ist alles! Jetzt aber vorwärts!“
Obgleich die beiden Wege, welche wir vermeiden wollten, kaum eine halbe Stunde voneinander entfernt lagen, glückte es uns doch, unbemerkt zu bleiben. Sahen wir rechts Leute kommen, so ritten wir nach links hinüber, und erblickten wir links Menschen, so hielten wir uns nach rechts. Natürlich leistete mir mein Fernrohr dabei die wichtigsten Dienste, und nur ihm allein hatten wir es zu verdanken, daß wir uns endlich beim Anblick von Baadri sicher fühlen konnten.
Wir waren nun beinahe zehn Stunden lang im Sattel gewesen und also ziemlich müde, als wir die Hügelreihe erreichten, an deren Fuß das Dorf lag, welches der Wohnplatz des geistlichen Oberhauptes der Teufelsanbeter, sowie des weltlichen Oberhauptes des Stammes war. Ich fragte den ersten Mann, welcher mir begegnete, nach dem Namen des Bey. Er sah mich verlegen an. Ich hatte ganz außer acht gelassen, daß die Dschesidi meist nicht arabisch reden.
„Bey nidsche demar – wie heißt der Bey?“ fragte ich türkisch.
„Ali Bey“, antwortete er mir.
„Ol nerde oturar – wo wohnt er?“
„Gel, seni götirim – komm, ich werde dich führen!“
Er führte uns bis an ein großes, aus Steinen aufgeführtes Gebäude.
„Itscherde otur – da drinnen wohnt er“, sagte der Mann; dann entfernte er sich wieder.
Das Dorf war außerordentlich belebt. Ich bemerkte außer den Häusern und Hütten auch eine Menge Zelte, vor denen Pferde oder Esel angebunden waren, und zwischen ihnen bewegte sich eine zahlreiche Menschenmenge hin und her. Diese war so bedeutend, daß unser Kommen gar nicht aufzufallen schien.
„Sihdi, schau hierher!“ sagte Halef. „Kennst du den?“
Er zeigte auf einen Esel, welcher am Eingang des Hauses angebunden war. Wahrhaftig, es war der Esel unseres dicken Buluk Emini! Ich stieg ab und trat ein. Da scholl mir die dünne Fistelstimme des tapferen Ifra entgegen:
„Und du willst mir wirklich keine andere Wohnung geben?“
„Ich habe keine andere“, antwortete eine andere Stimme in sehr trockenem Ton.
„Du bist der Kiajah (Dorfoberhaupt); du mußt eine andere schaffen!“
„Ich habe dir bereits gesagt, daß ich keine andere habe. Das Dorf ist voll von Pilgern; es ist kein Platz mehr leer. Warum führt dein Effendi nicht ein Zelt bei sich?“
„Mein Effendi? Ein Emir ist er, ein großer Bey, der berühmter ist, als alle Dschesidenfürsten im Gebirge!“
„Wo ist er?“
„Er wird nachkommen. Er will erst einen Gefangenen fangen.“
„Einen Gefangenen fangen? Bist du toll?“
„Einen entflohenen Gefangenen.“
„Ach so!“
„Er hat einen Firman des Großherrn, einen Firman el Onsul (Paß des Konsuls), einen Firman und viele Briefe des Mutessarif, und hier ist auch meine Bescheinigung.“
„Er mag selbst kommen!“
„Was? Er hat den Disch-parassi, und du sagst, er möge selbst kommen! Ich werde mit dem Scheik sprechen!“
„Der ist nicht hier.“
„So rede ich mit dem Bey!“
„Gehe hinein zu ihm!“
„Ja, ich werde gehen. Ich bin ein Buluk Emini des Großherrn, habe fünfunddreißig Piaster Monatssold (sieben Mark) und brauche mich vor keinem Kiajah zu fürchten. Hörst du es?“
„Ja. Fünfunddreißig Piaster für den Monat!“ klang es beinahe lustig. „Was bekommst du noch?“
„Was noch? Höre es! Zwei Pfund Brot, siebzehn Lot
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