12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
tapferste Mann war der ‚Sultan el Kebihr‘, und dennoch haben ihn die Nemtsche-schimakler (Nördlichen Deutschen), die Nemtsche-memleketler (Österreicher) und die Moskowler besiegt. Warum werde ich von deinem Auge so scharf betrachtet?“
Sie hatte also von Napoleon und von dem Ausgang der Freiheitskriege gehört; sie hatte sicher eine nicht gewöhnliche Vergangenheit hinter sich.
„Verzeihe mir, wenn mein Auge dich beleidigt hat“, antwortete ich. „Ich bin nicht gewohnt, in deinem Land ein Weib so kennen zu lernen, wie dich.“
„Ein Weib, welches Waffen trägt? Welches Männer tötet? Welches sogar seinen Stamm regiert? Hast du nicht von Ghalië gehört?“
„Ghalië?“ fragte ich, mich besinnend; „war sie nicht vom Stamme Begum?“
„Ich sehe, daß du sie kennst.“
„Sie war der eigentliche Scheik ihres Stammes und schlug in der Schlacht bei Taraba die Truppen des Mehemed Ali, welche Tunsun-Bei kommandierte?“
„So ist es. Siehst du nun, daß auch ein Weib sein darf wie ein Mann?“
„Was sagt der Koran dazu?“
„Der Koran?“ fragte sie mit einer Gebärde der Geringschätzung. „Der Koran ist ein Buch; hier habe ich meinen Yatagan, mein Tüfenk (Flinte) und meinen Dscherid (Wurfspieß). Woran glaubst du? An das Buch oder an die Waffen?“
„An die Waffen. Du siehst also, daß ich kein Giaur bin, denn ich denke ganz dasselbe, was du denkst.“
„Glaubst du auch an deine Waffen?“
„Ja; noch viel, viel mehr aber an das Kitab-aziz (Heiliges Buch) der Christen.“
„Ich kenne es nicht, aber deine Waffen sehe ich.“
Das war nun allerdings ein Kompliment für mich, da der Araber gewohnt ist, den Mann nach den Waffen zu beurteilen, welche er trägt. Sie fuhr fort:
„Wer hat mehr Feinde getötet, du oder dein Freund?“
Kam es auf die Waffen an, so mußte Albani allerdings bedeutend tapferer sein als ich; dennoch war ich überzeugt, daß der gute Triester mit seinem Sarras gewiß noch keinem Menschen gefährlich geworden sei. Ich antwortete aber ausweichend:
„Ich habe mit ihm noch nicht darüber gesprochen.“
„Wie viele Male hast du eine Intikam (Blutrache) gehabt?“
„Noch nie. Mein Glaube verbietet mir, selbst meinen Feind zu töten; er wird getötet durch das Gesetz.“
„Aber wenn jetzt Abu-Seïf käme und dich töten wollte?“
„So würde ich mich wehren und ihn im Notfalle töten, denn die Notwehr ist hier erlaubt. Aber du sprichst vom ‚Vater des Säbels‘; kennst du ihn?“
„Ich kenne ihn. Auch du nennst seinen Namen; hast du von ihm gehört?“
„Ich habe nicht bloß von Abu-Seïf gehört, sondern ihn gesehen.“
Sie wandte sich mit einer raschen Bewegung zu mir herum.
„Gesehen? Wann?“
„Vor noch nicht vielen Stunden.“
„Und wo?“
„Zuletzt auf seinem Schiffe. Ich war sein Gefangener und bin ihm gestern entflohen.“
Ich deutete die Richtung an, in der ich es noch vermuten mußte.
„Dort liegt es in einer Bucht versteckt.“
„Und er ist darauf?“
„Nein. Er ist in Mekka, um dem Großscherif ein Geschenk zu bringen.“
„Der Großscherif ist nicht in Mekka, sondern in Taïf. Ich habe dir eine große Botschaft zu verdanken. Komm!“
Sie trieb ihr Dschemmel zu größerer Eile an und lenkte nach einiger Zeit nach rechts ein, wo eine Reihe von Bodenerhebungen am Horizont sichtbar wurde. Als wir näher kamen, bemerkte ich, daß dieser Höhenzug aus demselben schönen grauen Granit bestand, wie ich ihn später bei Mekka wieder fand. In einer Talmulde standen einige Zelte. Sie deutete mit der Hand auf dieselben und meinte:
„Dort wohnen sie.“
„Wer?“
„Die Beni-küfr (Verfluchten) vom Stamme der Ateïbeh.“
„Ich denke, die Ateïbeh wohnen in El Zallaleh, Taleh und dem Wadi el Nobejat?“
„Du bist recht berichtet; aber komm. Du sollst alles erfahren!“
Vor den Zelten lagen wohl an die dreißig Kamele nebst einigen Pferden am Boden, und eine Anzahl dürrer, struppiger Wüstenhunde erhob bei unserem Nahen ein wütendes Geheul, infolgedessen die Insassen der Zelte hervortraten. Sie hatten ihre Waffen ergriffen und zeigten ein sehr kriegerisches Aussehen.
„Wartet hier!“ befahl die Gebieterin.
Sie ließ ihr Kamel niederknien, stieg ab und trat zu den Männern. Mein Gespräch mit ihr war weder von Albani noch von Halef vernommen worden.
„Sihdi“, fragte Halef, „zu welchem Stamme gehören diese Leute?“
„Zum Stamme Ateïbeh.“
„Ich habe von ihm gehört. Zu ihm zählen die tapfersten Männer dieser
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