12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
mitbringen magst; denn das heilige Wasser ist ein Mittel gegen alle Krankheiten des Leibes und der Seele.“
„Das ist die Zeremonie an der Kaaba. Was folgt dann?“
„Nun kommt der Say, der Gang von Szafa nach Merua. Auf dem Hügel Szafa stehen drei offene Bogen. Dort stellst du dich hin, wendest das Angesicht nach der Moschee, erhebst die Hände gen Himmel und bittest Allah um Beistand auf dem heiligen Wege. Dann gehst du sechshundert Schritt weit nach dem Altan von Merua. Unterwegs siehst du vier steinerne Pfeiler, an denen du springend vorüberlaufen mußt. Auf Merua verrichtest du wieder ein Gebet und legst den Weg dann noch sechsmal zurück.“
„Dann ist alles getan?“
„Nein, denn nun mußt du dir dein Haupt scheren lassen und Omrah besuchen, welches so weit außerhalb der Stadt liegt, wie wir uns jetzt von Mekka befinden. Dann hast du die heiligen Handlungen erfüllt und kannst zurückkehren. Im Monat der großen Wallfahrt muß der Gläubige mehr tun und braucht lange Zeit dazu, weil viele Tausende von Pilgern anwesend sind; du aber brauchst nur zwei Tage und kannst am dritten wieder bei uns sein.“
Diesem Unterricht folgten noch verschiedene Fingerzeige, welche aber für mich von keinem Interesse waren, da sie sich meist nur auf Hanneh bezogen. Ich legte mich zur Ruhe. Als Halef endlich erschien, lauschte er, ob ich bereits eingeschlafen sei. Er merkte, daß ich noch munter war, und fragte:
„Sihdi, wer wird dich bedienen während meiner Abwesenheit?“
„Ich selbst. Willst du mir einen Gefallen tun, Halef?“
„Ja. Du weißt, daß ich für dich alles tue, was ich kann und darf.“
„Du sollst dem Scheik Wasser vom heiligen Brunnen Zem-Zem mitbringen. Bringe auch mir eine Flasche mit!“
„Sihdi, verlange alles von mir, nur dieses nicht; denn das kann ich unmöglich tun. Von diesem Brunnen dürfen nur die Gläubigen trinken. Wenn ich dir Wasser brächte, so würde mich nichts vor der ewigen Hölle retten!“
Dieser Bescheid wurde mit so fester Überzeugung ausgesprochen, daß ich nicht weiter in den Diener zu dringen versuchte. Nach einer Pause fragte er:
„Willst du dir nicht selbst das heilige Wasser holen?“
„Das darf ich ja nicht!“
„Du darfst es, wenn du dich vorher zum rechten Glauben bekehrst.“
„Das werde ich nicht tun; jetzt aber wollen wir schlafen.“
Am andern Morgen ritt er als würdiger Ehemann mit seinem Weibe von dannen. Er nahm die Weisung mit, zu sagen, daß er aus fernen Landen komme, und ja nicht zu verraten, daß seine Begleiterin, die sich übrigens jetzt verschleiert hatte, eine Ateïbeh sei. Mit ihm ritt eine Strecke weit ein Krieger, welcher die Straße zwischen Mekka und Dschidda bewachen sollte. Auch am Eingang unserer Schlucht wurde ein Wachtposten aufgestellt.
Der erste Tag verging ohne besonderen Vorfall; am zweiten Morgen ersuchte ich den Scheik um die Erlaubnis zu einem kleinen Streifzug. Er gab mir ein Kamel und bat mich, vorsichtig zu sein, damit unser Aufenthalt nicht entdeckt werde. Ich hatte gehofft, meinen Ritt allein machen zu können; aber die Tochter des Scheik trat zu mir, als ich das Kamel besteigen wollte, und fragte:
„Effendi, darf ich mit dir reiten?“
„Du darfst.“
Als wir die Schlucht verlassen hatten, schlug ich unwillkürlich die Richtung nach Mekka ein. Ich hatte geglaubt, meine Begleiterin würde mich warnen; allein sie hielt sich an meiner Seite, ohne ein Wort zu verlieren. Nur als wir ungefähr den vierten Teil einer Wegstunde zurückgelegt hatten, lenkte sie mehr nach rechts um und bat mich:
„Folge mir, Effendi!“
„Wohin?“
„Ich will sehen, ob unser Wächter an seinem Platz ist.“
Nach kaum fünf Minuten erblickten wir ihn. Er saß auf einer Anhöhe und schaute unverwandt nach Süden.
„Er braucht uns nicht zu sehen“, sagte sie. „Komm, Sihdi; ich werde dich führen, wohin du willst!“
Was meinte sie mit diesen Worten? Sie lenkte nach links hinüber und sah mich dabei lächelnd an. Dann ließ sie die Tiere weit ausgreifen und hielt endlich in einem engen Tal still, wo sie abstieg und sich auf den Boden niedersetzte.
„Setze dich zu mir und laß uns plaudern“, sagte sie.
Sie wurde mir immer rätselhafter, doch kam ich ihrer Aufforderung nach.
„Hältst du deinen Glauben für den allein richtigen, Effendi?“ begann sie die eigentümliche Unterhaltung.
„Gewiß!“ antwortete ich.
„Ich auch“, bemerkte sie ruhig.
„Du auch?“ fragte ich verwundert; denn es war das erste
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