1296 - Wenn der Albtraum kommt
war verschwunden, er war abgetaucht. Die Dunkelheit hatte sich als sein Beschützer erwiesen. Er kannte die Umgebung, ich kannte sie nicht. Und er würde auch nicht den Fehler begehen, sich in sein Haus zurückziehen. Das konnte er zunächst mal vergessen.
Eines aber stand fest. Von nun an hatte ich den Fall Gain am Hals!
Mit diesem Gedanken ging ich wieder zurück ins Haus und zu dem pensionierten Kollegen, der vielleicht im wichtigsten Moment seines Lebens alles falsch gemacht hatte…
***
Melvin Harris lag auf dem Boden. Neben ihm kniete Corinna Scott und weinte. Sie hatte eine Tischdecke zusammengerafft und gegen die Wunde am Hals gepresst.
Als sie mich sah, schaute sie hoch. »Ich glaube nicht, dass wir es schaffen, Mister. Schauen Sie selbst, es ist wohl zu spät.«
Gern hätte ich mehr Licht gehabt, aber es musste auch so gehen. Die helle Decke war blutgetränkt, denn noch immer pumpte der Druck den Lebenssaft aus dem Hals.
Ich hätte alles Mögliche getan, um ihn zu retten, wenn ich denn eine Chance gehabt hätte. Aber die gab es nicht. Das sah ich mit einem Blick in die Augen des alten Kollegen. Melvin Harris lag im Sterben.
Ich hatte in meinem Leben leider schon zu oft in die Augen eines Sterbenden sehen müssen, und so wusste ich Bescheid, wie es um den pensionierten Kollegen stand.
Er bäumte sich noch einmal auf. Er sprach sogar flüsternde Worte, und dabei erschien Blut auf seinen Lippen.
»John… hast… hast… du ihn?«
Was brachte es, wenn ich einem Sterbenden die Wahrheit sagte? Nichts, und deshalb antwortete ich mit einer Lüge.
»Ja, Mel, ich habe ihn. Ich konnte ihn fassen. Ich musste ihn erschießen.«
»O ja«, stöhnte der Sterbende, »dann ist er jetzt in der Hölle, nicht wahr?«
»Das denke ich auch.«
Er zitterte plötzlich. Aber er lächelte auch. »Danke, John, danke, dass du es geschafft hast. Ich… ich… war nicht gut genug. Ich habe ihn unterschätzt. Er hatte so ein Messer und…«
Vorbei. Kein letzter lauter Atemzug mehr. Kein Aufbäumen seiner Gestalt. Er verstummte, und sein Blick brach. Ich blickte in die leeren Augen eines Toten.
Wie eine Statue blieb ich in den nächsten Sekunden neben der Leiche knien. Vorwürfe durchtosten mich. Ich hätte besser auf ihn Acht geben sollen. Ich hätte mich selbst auch anders verhalten können.
Zuerst zu Gain gehen, ihn niederschlagen oder was auch immer.
Ich hatte es nicht getan, und ich hatte die Wut und den Hass eines Melvin Harris unterschätzt. Genau in dem gleichen Maße, in dem er sich überschätzt hatte.
Dann hörte ich die Stimme der Frau und wurde daran erinnert, dass ich nicht allein im Raum war.
»Wer… wer… sind Sie eigentlich?«
Ich erwachte wie aus einem Traum. Sehr langsam hob ich den Kopf, nachdem ich Mel Harris die Augen zugedrückt hatte. Ebenso langsam stand ich auf. Das Sprechen fiel mir schwer, deshalb räusperte ich mir zunächst die Kehle frei.
Corinna Scott saß eingeschüchtert in einem Sessel vorn auf der Kante des Sitzkissens. Sie zitterte wie das berühmte Espenlaub und ihre Augen waren weit aufgerissen.
»Mein Name ist John Sinclair«, sagte ich leise. »Und ich arbeite bei Scotland Yard.«
»Ein Polizist?«
»So ist es.«
»Und Harris war auch einer, nicht?«
»Ja, eine ehemaliger, aber er wollte einen Fall noch beenden. Leider hat er das nicht mehr geschafft. Theo Gain ist stärker gewesen.«
»Ich kenne Mr. Harris. Er hat einige Male mit mir gesprochen«, flüsterte die Frau.
»Warum?«
Sie zuckte die Achseln. »Er fragte nach Ed. Aber er hat nie den genauen Grund gesagt. Man kannte ihn im Ort. Er hat sogar mal bei den Nelsons in der Pension gewohnt. Niemand wusste so recht, um was es ihm ging, Keiner hat ihn je zusammen mit Theo gesehen. Ich kann einfach nicht begreifen, was passiert ist. Warum wurde Theo gesucht? Wissen Sie es denn, Mr. Sinclair?«
»Ja.«
»Und warum?«
»Er war ein Verbrecher«, sagte ich nur. Details wollte ich der Frau ersparen, die erst jetzt richtig begriff, was hier abgelaufen war, und zu zittern begann. Sie erlebte den Schock. Schlug die Hände vors Gesicht und heulte los.
Ich ließ sie weinen. Oft führen Tränen auch zu einer Erlösung, denn die brauchte sie. Warum der Killer sie verschont hatte, wusste ich nicht. Wahrscheinlich wollte er in seiner Nähe keine Spuren hinterlassen, aber es stand jetzt fest, dass Melvin Harris den richtigen Riecher gehabt hatte. Nur brachte ihn das nicht mehr ins Leben zurück.
Ich ging in den Flur, um das zu
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