1357 - Nach dem Holocaust
aufgeschlagen. Früher hatte dieses Gebäude als Lagerhalle gedient. Noch immer lagerten in allerlei Ecken und Nebenräumen, unter Treppen und Rampen und an allen anderen Orten, an denen man nicht unmittelbar in Gefahr war, ständig darüber zu stolpern, Raumanzüge, Ersatzteile, Nahrungskonzentrate und andere Dinge, die man einfach nur aus dem Weg geräumt hatte.
Nung-Ha-V'irn residierte in einer rundum verglasten Kanzel unter der Decke. Vor der Katastrophe hatte irgendein Kartanin von dort aus die Arbeiten in der Halle überwacht. Niemand wußte, was aus diesem Kartanin geworden war. Wahrscheinlich befand er sich unter denen, die sich verzweifelt bemühten, die Toten zu bestatten und die Kranken zusammenzutreiben.
Eine Treppe führte in die Halle hinab. An ihrem Ende hatte man ein paar niedrige Tische zu einem unregelmäßigen Viereck zusammengeschoben. Innerhalb des Vierecks arbeiteten ein paar Kartanin, die Nung-Ha-V'irns Anweisungen weitergaben und Meldungen aus allen Teilen der Stadt sammelten und ordneten. Außerhalb des Vierecks herrschte wildes Gedränge. Es war ein ständiges Kommen und Gehen.
Und in diesem Durcheinander wartete ein kleine, pelzige Gestalt und blickte Eirene erwartungsvoll entgegen. „Sie hat zugestimmt", sagte Eirene. „Jetzt nur schnell weg von hier, ehe sie es sich anders überlegt!"
Der Pelzige entblößte einen prächtigen, blitzenden Nagezahn, nahm die Hand des Mädchens und nickte nur kurz.
Einen Augenblick später waren beide verschwunden.
3.
Als Shu-Dan-H'ay am vierten Tag nach der Katastrophe aus dem Wald zurückkehrte, war Ju-Mei-H'ay tot.
Niemand hatte bemerkt, daß er gestorben war.
Sue-El-K'yon hatte sich bemüht, die Kranken zu füttern, was gar nicht so einfach war, denn die meisten lehnten es ab, das zu essen, was Sue-El ihnen vorsetzte.
Sie hatte mit Shu-Dans Hilfe den Weg zu den Vorratskammern freigeräumt, aber von dem, was dort lagerte, war nicht mehr viel zu gebrauchen. Es gab keine Energie mehr, demzufolge auch kein Licht. Die Kühlaggregate waren ausgefallen. Im Dunkeln hatten sie herumgesucht und nur verdorbenes Fleisch und angefaultes Gemüse gefunden. Schließlich hatten sie in einem der hintersten Räume ein Regal mit Notrationen gefunden - Konserven und Konzentrate.
Das Zeug schmeckte nicht. Sie hatten nur Wasser, um es hinunterzuspülen, und das verbesserte den Geschmack auch nicht gerade. Sogar das Wasser war nicht so frisch und kalt, wie die Kartanin es liebten.
Die Kranken waren außerdem so uneinsichtig, daß man ihnen die Situation nicht erklären konnte. Von der vielgerühmten Disziplin der Kartanin war bei ihnen nichts zu merken.
Sue-El-K'yon hatte sich schließlich dazu überwunden, Shu-Dan-H'ay auf die Jagd zu schicken. Sie wäre gerne selbst losgezogen, aber sie traute ihm nicht. Außerdem hatte sie Angst - auch wenn sie sich eher jedes Haar einzeln ausgerissen hätte, als es zuzugeben.
Es war nicht geheuer im Wald. Nachts hörte man Schreien und Fauchen, und es waren keine Tiere, die diese Laute von sich gaben. Eines Morgens war eine der Kranken verschwunden, und sie fanden sie wenig später mit aufgeschlitzter Kehle hinter einem Gebüsch. In den Bäumen raschelte und knackte es.
Wenn man ihnen nahe kam, regneten Nüsse und Früchte herab.
Sue-El-K'yon mochte den Wald nicht, hatte ihn auch früher nie gemocht. Sie war zwar hineingegangen, aber sie hatte sich jedesmal dazu überwinden müssen, und eigentlich hatte sie es nur gewagt, weil sie den Spott der anderen fürchtete.
Also schickte sie Shu-Dan, der sie beschämte, indem er seelenruhig davonmarschierte, mitten in die Wildnis hinein, ohne auch nur die Spur von Furcht zu zeigen.
Seine Furchtlosigkeit war aber leider auch nicht dazu geeignet, ihm den Erfolg zu sichern. Sie hörte ihn noch geraume Zeit, und später vernahm sie Schüsse. Sie war so erleichtert, daß sie sogar die Tatsache übersah, daß Lia-Gan-L'agyr ihr soeben den Konzentratriegel vor die Füße gespuckt hatte, den sie ihr mit großer Mühe schmackhaft zu machen suchte. Sie hatte Lia-Gan nie leiden können.
Auf dem Weg zum Ausgang kam sie an der Kammer vorbei, und als sie hineinsah, erblickte sie Ju-Mei-H'ay. Noch vor wenigen Tagen hätte sie gedacht, er würde schlafen. Inzwischen hatte sie mit dem Tod so innige Bekanntschaft geschlossen, daß sie seine Handschrift kannte.
Sue-El blieb stehen und starrte den toten Kartanin an. Sie war betroffen, aber auch wütend. Sie hatte niemals geglaubt, daß
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