14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
nicht dich! Wo befindet sich der Jude?“
„Der Arme genießt die Gastfreundschaft dieses Hauses.“
„Willst du ihn einmal rufen lassen?“
„Sogleich!“
Ich schickte Halef, und gleich darauf trat Baruch ein. Der Mir Alai maß ihn mit kaltem Auge und fragte, nur halb zu ihm gewendet:
„Deine Sachen sind dir gestern verbrannt?“
„Ja, Herr“, antwortete Baruch demütig.
„Hier, nimm dafür. Kaufe dir andere!“
Er griff in seine Börse und reichte ihm etwas dar, was ich nicht erkennen konnte; aber an der Stellung seiner Finger bemerkte ich, daß es nicht sehr viel sein konnte. Der Jude bedankte sich und wollte sich entfernen; ich aber hielt ihn zurück.
„Halt, Baruch Schebet Ben Baruch Chereb. Zeige mir, was du empfangen hast! Der Effendi wird mir meine Neugierde verzeihen, denn ich will es ja nur sehen, um ihm mit dir danken zu können.“
Es waren zwei Goldstücke zu fünfzig und zwanzig Piaster, in Summa also siebzig Piaster oder zwölf bis vierzehn Mark nach deutschem Geld. Das war mehr als sparsam und auch mehr als geizig; das war lumpig. Ich konnte mir denken, daß der Mir Alai gestern, bevor er die Erlaubnis zum Plündern gab, alles im Haus vorgefundene Geld an sich genommen und jedenfalls auch die Taschen der Toten und Gefangenen durchsucht hatte. Zwar war es mir nicht aufgefallen, aber ich kannte die Art und Weise dieser Herren zur Genüge.
Deshalb fragte ich ihn jetzt:
„Du hast deine dreitausend Piaster wieder erlangt, Effendi?“
„Ja.“
„Und diesem Mann, dem du sie verdankst und das Leben dazu, gibst du fünfundsiebzig für sein verbranntes Eigentum? Schenke ihm tausend, so scheiden wir als gute Freunde, und im ‚Bassiret‘ wird dein Name nicht genannt!“
„Tausend, Emir? Wo denkst du hin? Er ist ein Jude!“
„Ganz wie du willst! Baruch, gibt ihm die fünfundsiebzig wieder! Wir werden nachher zum Hadi gehen, du als Kläger und ich als Zeuge. Wer dir dein Eigentum verbrannt hat, der muß es dir ersetzen, selbst wenn er ein Regiment kommandiert und mein Gast gewesen ist. Ich werde mich durch den Gesandten meines Herrschers beim Diwan erkundigen lassen, ob der Sultan seinen Offizieren erlaubt, die Straßen Stambuls niederzubrennen!“
Ich stand auf und gab das Verabschiedungszeichen; auch die beiden Gäste erhoben sich, und der Jude näherte sich dem Mir Alai, um ihm sein Geld zurückzugeben; dieser aber winkte ihn von sich ab und sagte mit unterdrückter Stimme:
„Behalte es! Ich werde dir das Fehlende senden!“
„Tue dies bald, Effendi“, bemerkte ich, „denn in einer Stunde gehen wir zum Richter!“
Das war eine keinesfalls angenehme Szene, aber ich mache mir noch heut keine Vorwürfe darüber, daß ich den Weg der Nötigung betrat, um den Offizier für seine Arroganz zu bestrafen und dem armen Juden zu einer Entschädigung zu verhelfen. Tausend Piaster klingt allerdings wie eine große Summe, aber es sind doch nur im höchsten Fall zweihundert Mark; damit war dem braven Baruch geholfen, wenn es auch zu wenig war, um einen Handel mit ‚Juwelen und Altertümern‘ damit zu begründen.
Der Mir Alai verließ mit einem stolzen Kopfnicken das Zimmer; Nasir aber nahm den freundlichsten Abschied von mir.
„Emir“, sagte er, „ich weiß, wie schwer es dir wird, mit einem Gast so scharf zu sprechen; aber ich hätte es an deiner Stelle wenigstens ebenso gemacht. Er ist ein Günstling des Ferik-Pascha, weiter nichts. Lebe wohl, und gedenke meiner, wie ich auch dein gedenken werde!“
Noch vor dem Verlauf einer Stunde brachte ein Onbaschi (Unteroffizier) einen Beutel, der die an den tausend Piastern fehlende Summe enthielt. Baruch tanzte vor Freude, und seine Frau nannte mich den gütigsten Effendi der Welt und versprach, mich täglich in ihr Gebet einzuschließen. Das Glück der alten Leute söhnte mich mit meinem Bruch der Gastfreundschaft vollständig aus.
Am Abend waren wir alle vereint; es gab ein Abschiedsmahl, bei dem sich auch Senitza einfand. Sie als Christin durfte uns ihr Gesicht sehen lassen, wenn Isla ihr auch nicht erlaubte, unverschleiert auf die Straße zu gehen. Sie ging mit uns noch einmal ihre Erlebnisse durch: die Trauer, in der sie bei ihrer Gefangenschaft befangen gewesen war, und das Glück, als sie sich aus Abrahim Mamurs Gewalt gerettet sah.
Am Schluß nahm Lindsay Abschied. Seine Nase war so ziemlich von ihrer Beule befreit, so daß er sich auch wieder in London zeigen konnte. Als er ging, begleitete ich ihn nach seiner Wohnung. Dort
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