1610 02 - Kinder des Hermes
anderen Mitglied Eurer Truppe die Rolle der Muse geben.«
Alleyne und seine Männer fingen aufgeregt an zu plappern, was sie sich im Whitehall-Palast wohl kaum erlaubt hätten. Da aber auch Heinrich von Navarra der Jagd sehr zugetan gewesen war, wusste ich, welche Freiheiten Könige bei solchen Gelegenheiten gewährten.
»Wie soll denn ein anderer Junge das noch lernen?«, beschwerte sich Alleyne, nachdem er die anderen zum Schweigen gebracht hatte. »Außerdem spielen die meisten unserer Schauspieler bereits zwei Rollen, manche sogar drei. Sieben Tugenden und sieben Laster, und wir sind nur neun! Wie soll ich selbst oder irgendjemand anderer bis heute Abend tausend Zeilen lernen?«
James schnaufte. Ich an seiner Stelle hätte das Gleiche getan. Wenn Messire de Sully Schauspieler im Arsenal gehabt hatte, hatte ich mich stets bemüht, woanders zu sein. Und das war verdammt klug von mir!, dachte ich.
Ich packte Alleyne am Arm, damit er aufhörte, mit den Händen herumzuwedeln. »Monsieur, Eure gesamte Truppe hat einen Monat lang ›Clio‹ immer wieder ›ihre‹ Zeilen vortragen hören. Außerdem ist es ja nicht so, als wenn diese Rolle ungewöhnlich schwierig wäre.«
»Dann macht ihr es doch, wenn Ihr glaubt, das sei so einfach!«, knurrte Alleyne.
Ich lächelte düster. »Ich denke, ›Clio‹ ist keine Frau meines reifen Alters, Monsieur, auch wenn die Geschichtsschreibung eine der ältesten Künste ist.«
König James Stuart bemerkte etwas auf Griechisch und lachte so laut, dass er sabberte und sich den Mund abwischen musste. Sein Schweißgeruch lag in der Luft.
»Wir werden eine neue Clio für Euch finden, Euer Majestät«, sagte ich in überzeugtem Ton, weil man so in der Gegenwart von Königen spricht. In Wahrheit hatte Alleyne jedoch Recht; nur das war nichts, was wir James hätten sagen können.
Falls Fludd in der Nähe ist, überlegte ich, könnte ich den Vorfall dann nutzen, um ihn hierher zu locken?
»Aber …!«, protestierte Alleyne.
Ohne auf ihn zu achten, fuhr ich fort: »Die Schauspieler Euer Majestät werden Euch nicht enttäuschen. Darf ich davon ausgehen, dass sie Euer Majestät bereits gezeigt haben, welche Rolle man Euch in dem Maskenspiel zugedacht hat?«
Nicht dass er sie wirklich spielen würde, aber man kann einen König (oder auch jeden Normalsterblichen) stets ablenken, indem man ihn auffordert, über sich selbst zu reden. Es ist wahr, dass man die Dinge am Hof Heinrichs IV. weit offener besprochen hat als an den anderen europäischen Höfen. Dennoch hat mich auch dort die Erfahrung die beiden wichtigsten Attribute eines Höflings gelehrt: den Anschein von Ehrlichkeit und schamlose Schmeichelei. Auch James war offenbar nicht immun dagegen.
Während Seine Majestät uns mit der Geschichte Clios, der Tugenden und Laster sowie mit diversen anderen abstrusen Themen beglückte, bemühte ich mich, aufmerksam zu wirken, und versprach mir gleichzeitig das Vergnügen, mir den ohnehin schon übernervösen Edward Alleyne vorzuknöpfen und all den Frust auf ihm abzuladen, den ich als Aufseher seiner Schauspieltruppe hatte ertragen müssen.
»Ave, Master Alleyne, Ihr und Eure Männer dürft Uns jetzt verlassen«, sagte James in gereiztem Tonfall. Ich verneigte mich und ging. Auf halbem Weg zum Zelteingang fügte der König jedoch hinzu: »Monsieur Rochefort, Ihr wisst viel über dieses Maskenspiel. Wir würden Euch gerne ein, zwei Fragen stellen. Bitte, wartet da hinten.«
Die verbliebenen Höflinge fertigte James rasch ab, wobei er immer mehr in den breiten Akzent seiner schottischen Heimat verfiel. Knapp eine Viertelstunde später war das Zelt leer. Ich stand ein Stück neben dem Eingang, während Diener Kerzen entzündeten und das Zelt neu unterteilten, um dem König möglichst viel Privatsphäre zu bieten.
Entweder stellt er mir jetzt irgendeine obskure poetische Frage auf Griechisch oder Latein, dachte ich, – was ich im Übrigen beides nicht mehr sprechen kann –, oder aber er ist äußerst geübt darin, Vorwände zu finden, um mit einem Mann allein zu sprechen.
Wenigstens weiß James nichts von irgendeiner Verschwörung, sinnierte ich beim Warten. Wahrscheinlich will er einfach nur mit mir über seine Rolle im Konstrukteur der Schatten sprechen. Ob ich wohl Cecil benachrichtigen sollte, dass er ohne Clio weder ein Maskenspiel noch Robert Fludd bekommt? Nein, jetzt ist keine Zeit mehr, um irgendeine Nachricht nach London zu schicken …
Der letzte Leibdiener verneigte sich,
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