1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
erhoffte, war zu einem Ort des Schreckens geworden. Torgau quoll über von Verwundeten, das Lazarettfieber breitete sich so schnell aus, dass bald vor manchen Gebäuden Leichen in Stapeln übereinanderlagen, bis sie endlich jemand unter die Erde brachte.
Sie konnte den beiden jüngeren Kindern nicht ständig die Augen zuhalten, um ihnen diesen Anblick zu ersparen, und die Gefahr einer Ansteckung war zu groß. Bei dem Mangel an Ärzten und Arzneien wären sie der furchtbaren Krankheit ohne Aussicht auf Rettung ausgeliefert.
Als die Gräfin erfuhr, dass Torgau in Belagerungszustand versetzt werden sollte, beschloss sie, mit ihren Söhnen und der Tochter über Leipzig nach Merseburg zu reisen.
Ihre Kutsche erreichte Leipzig am Nachmittag des 27 . August und wurde sofort von Menschen umringt, die wissen wollten, wo nun die Österreicher standen. Die ganze Nacht über und am Morgen hatte es vor den Toren Leipzigs ein heftiges Gefecht zwischen Franzosen und Österreichern gegeben. Aber so gut informiert Auguste Charlotte sonst war – diesmal konnte sie keine Auskunft geben.
Das Schreiben Oudinots sorgte dafür, dass man sie auf der Stelle zum Stadtkommandanten Bertrand geleitete, der sie mit großer Freundlichkeit begrüßte und ihr gestand, er sei zehn Uhr morgens kurz davor gewesen, die Stadt räumen zu lassen. Aber in letzter Minute habe sich der Feind doch noch überraschend zurückgezogen. Es waren jene Truppen, die von der Alliierten Hauptarmee vor Dresden sehnsüchtig als Verstärkung erwartet wurden.
Die Gräfin dankte General Bertrand für seine Fürsorge und bestand darauf, am nächsten Morgen nach Merseburg abzureisen. Nicht einmal mehr Leipzig war sicher! Der größte Teil der Garnison stand mit Arrighi und Oudinot vor Berlin, und der Krieg war längst zum Flächenbrand in Sachsen geworden. Selbst wo keine Schüsse abgefeuert wurden, hielt der Tod reiche Ernte unter Kranken und Verwundeten.
Ihr Ziel war nun Merseburg. Dort sollte sich ihr ältester Sohn, der junge Graf Lynar, ins Gymnasium einschreiben.
Hermann zog in die Schulwohnung, seine Mutter und seine jüngeren Halbgeschwister Natalie und Alfred nahmen mit der Kammerfrau und dem Kutscher Quartier im Gasthof.
Nun hatte sie neben dem Empfehlungsschreiben Oudinots auch noch eines des französischen Stadtkommandanten Bertrand, direkt an den korsischen Platzkommandanten von Merseburg gerichtet, der ihr seine Hauswirte empfahl, eine Familie von Holleufer. Aber die Gräfin lehnte höflich dankend ab, dort zu logieren.
»Kommen Sie mit, kommen Sie mit nach Paris!«, schlug Kommandant Morandini eifrig vor. »Wir werden Merseburg nicht mehr lange halten können. Zwischen Naumburg und Weißenfels agiert ein Streifkorps von mehr als zweitausend Mann unter einem russischen General von Thielmann. Die sind anscheinend unbesiegbar. Jeden Tag kann er vor Merseburg auftauchen …«
»Thielmann?«, fiel ihm Charlotte von Kielmannsegge mit leicht geweiteten Augen ins Wort.
»Kennen Sie ihn?«, fragte Morandini.
»Natürlich!«, fauchte die Gräfin ihn an. Für wie dumm hielt er sie denn?
»Er war einmal ein Sachse«, sagte sie mit einer Mischung aus Stolz und Verachtung. »Aber er hat sein Land verraten.«
»Dann wird er Sie auch kennen. Ein Grund mehr für Sie, Merseburg zu verlassen, bevor er es einnimmt!«, erklärte der Stadtkommandant kategorisch. Er schien großen Wert auf die Gesellschaft der schönen Gräfin zu legen, die so hervorragende Verbindungen zur französischen Generalität besaß. »Kommen Sie mit mir nach Paris!«
Erneut lehnte sie ab. Nicht nur wegen ihres Sohnes. Der Kaiser brauchte sie in Sachsen, nicht in Paris. Sie schrieb ihm weiter alles, was sie über die Stimmung im Lande erfuhr. Und so schlecht, wie die Dinge liefen, konnte durchaus die Situation eintreten, in der sie sein geheimes Schreiben an den Zaren übergeben musste.
Außerdem traute sie Morandini nicht. Er riss vor Thielmann aus und überließ das Kommando einfach einem Trainoffizier. Wie verachtenswert! Obendrein fehlte ihm jegliche Menschenkenntnis. Denn die Leute, die er ihr empfohlen hatte, waren preußischer Gesinnung. Auch wenn die Gräfin von Kielmannsegge die letzten Jahre in Paris verbracht hatte, war sie viel zu gut informiert, um von dieser Familie Treue zum Kaiser der Franzosen zu erwarten.
Der Generalleutnant von Thielmann sichtete im Feldlager vor Merseburg die von französischen Kurieren abgefangenen Depeschen, um sie je nach Dringlichkeit ans
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