1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Hauptquartier weiterzuleiten, als ihm sein Adjutant einen schmalen, versiegelten Brief überbrachte.
»Der ist an Sie, aus Merseburg.«
Thielmann nahm das Schreiben mit einiger Überraschung entgegen. Bot ihm der Stadtkommandant die Kapitulation an? Doch der hatte die Stadt längst verlassen und die Befehlsgewalt einem einfachen Offizier übergeben.
Der Name unter dem Schreiben war ihm flüchtig bekannt.
»Exzellenz, lassen Sie sich nicht täuschen: Die Garnison in Merseburg ist nur noch dreihundert Mann stark. Und im Gasthof werden Sie die Gräfin von Kielmannsegge mit ihren Kindern vorfinden.«
»Wenn das stimmt, können wir die Stadt ohne große Verluste einnehmen!«, frohlockte sein Generalstabschef, der preußische Major von Strantz. »Was hat es mit dieser Gräfin auf sich? Ist das nicht Napoleons sächsische Geliebte?«
Thielmann zögerte mit der Antwort. Er hatte Auguste Charlotte von Kielmannsegge einmal sehr bewundert – wie jeder Mann, der empfänglich für weibliche Schönheit und weiblichen Esprit war. Sie verstanden sich bestens miteinander, solange sie beide Napoleon verehrten. Doch seit er mit Bonaparte gebrochen hatte, hielt sie ihn für einen Verräter am Kaiser und er sie für eine Verräterin am deutschen Vaterland. Sie war eine gefährliche Frau.
»Nicht seine Geliebte, sondern seine Spionin. Und mit Sicherheit führt sie geheime Papiere bei sich.«
»Sollen wir sie verhaften?«
Eine seiner Aufgaben war es, Nachrichtenwege zu blockieren. Da durfte er nicht zulassen, dass sie Lageberichte an Bonaparte schickte. Andererseits konnte sie wohl kaum Erfreuliches mitteilen, und das sollte der Kaiser vielleicht doch aus ihrer Hand erfahren. Ihr würde er jedes Wort glauben.
»Warten wir ab. Falls sie verhaftet wird, achten Sie darauf, dass man sie gut behandelt! Sie reist mit ihren Kindern, für die muss gut gesorgt werden.«
Thielmann wollte Merseburg ohne größere Verluste einnehmen, und er musste es schnell tun. Lefèbvre-Desnouettes war ihnen auf den Fersen. Der war ein nicht zu unterschätzender Gegner, ein zäher und kampferfahrener Mann. Er befehligte schon früh ein Dragonerregiment, diente als Divisionskommandeur in Spanien, geriet in englische Gefangenschaft und konnte entkommen. Im Krieg gegen Österreich 1809 führte er die Gardejäger des Kaisers an, eine Eliteeinheit.
Schon zwei Tage lang hatte ihn Thielmann in die Irre geführt, weil die Übermacht für eine direkte Konfrontation zu groß war. Aber das würde nicht mehr lange gutgehen. Dann stünden sie sechseinhalbtausend Mann Kavallerie sowie etlichen Kanonen gegenüber. Und heute, so meldeten seine Kundschafter, hatte Lefèbvre-Desnouettes noch Mamelucken als Verstärkung nach Leipzig geschickt bekommen.
Am Morgen des 18 . September wurden die Merseburger durch eine gewaltige Explosion geweckt. Österreichische Mineure hatten die Brücke gesprengt. Mehrere Scheunen fingen Feuer, Kugeln schlugen in die Wände der Häuser. Die Glocken läuteten Sturm, Menschen rannten panisch durch die Straßen, ein paar Entschlossene versuchten, die Feuer zu löschen.
Derweil wartete Thielmann ungeduldig vor der Stadt auf die Rückkehr seines Parlamentärs.
»Der Kommandant weigert sich, nur vor Kavallerie zu kapitulieren«, berichtete dieser ebenso erstaunt wie ungeduldig. Sie konnten hier nicht viel Zeit vergeuden, denn Lefèbvre-Desnouettes und die Mamelucken des Kaisers waren nicht weit.
Angesichts dieser merkwürdigen Begründung und der drängenden Zeit entschloss sich Thielmann zu einer List.
»Erleichtern wir ihm die Entscheidung! Sorgen Sie dafür, dass die zweitausend französischen Gefangenen, die wir mit uns herumschleppen, ein bisschen auf und ab gehen. So sind sie wenigstens von Nutzen, und dieser Dummkopf von einem Kommandanten wird denken, wir haben auch starke Infanterie.«
Die List funktionierte. Die französische Garnison ergab sich und zog ab.
Thielmann hatte die Kapitulation kaum entgegengenommen, als ihn die Nachricht erreichte, der französische General habe Naumburg und Freyburg wieder besetzt und sei mit nunmehr acht- bis zehntausend Mann im Anmarsch gegen sie. Deshalb befahl er seinen Truppen, sofort Richtung Süden abzuziehen.
So wurde die Gräfin von Kielmannsegge vorerst nicht verhaftet.
Trotzdem holte sie in Merseburg nach dem Angriff auf die Stadt alles ein, wovor sie aus Torgau fliehen wollte: Tote, Verletzte, Lazarettfieber. Sie ließ es sich nicht nehmen, selbst französische Verwundete zu
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