1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
es ja immer gesagt, sie mutet sich zu viel zu, sie ist viel zu zart …«
Jette schaffte es gerade noch, sich von Dr. Meuder zu verabschieden und ihm für seine Freundlichkeit zu danken, bevor die Tante sie wortreich und auf direktem Wege ins Bett dirigierte.
»Schlaf, ruh dich aus, mindestens fünf Tage, hat der Doktor gesagt! Danach sehen wir weiter.«
Lisbeth brachte Milch und Zwieback und schlurfte los, ein Huhn zu schlachten, um eine kräftigende Brühe zu kochen.
Henriette ließ das alles wortlos über sich ergehen und war froh, als sie endlich allein in der Bibliothek war. Dann schloss sie die Augen, zog die Decke ganz über sich, krümmte sich zusammen und dachte nach.
Auch am nächsten Tag hatte sie nicht das Bedürfnis aufzustehen. Die besorgte Tante hätte es ihr ohnehin nicht erlaubt.
Normalerweise hätte sie in so einer Lage ausgiebig gelesen – um sich abzulenken, um Antworten zu finden und Trost, um gute Vertraute aus ihren Lieblingsromanen und -dramen zu treffen und sich durch ihr Handeln Rat geben zu lassen.
Doch selbst wenn sie ein Buch in die Hand nahm, vermochte diesmal keines sie zu fesseln. Ihre Gedanken wanderten fort, sie nahm gar nicht wahr, was sie las, die Zeilen verschwammen ihr vor den Augen.
Sie war wirklich erschöpft, zu Tode erschöpft.
Und vermutlich schwanger.
Noch war es ein Verdacht; jeden Tag konnten sich die Anzeichen dafür einstellen, dass ihre Sorge unbegründet war und sie aufatmen durfte. Aber irgendwo in ihrem Innersten wusste sie, dass sie darauf nicht hoffen durfte.
Sie durfte auf gar nichts mehr hoffen.
Es herrschte ein Krieg, der kein Ende nahm, ihre Eltern waren tot, sie würde nie heiraten und ein normales Leben führen und nun auch noch Schande über die Menschen bringen, die sie großherzig bei sich aufgenommen hatten.
Der Hass Eduards vermittelte ihr einen lebhaften Eindruck davon, wie die Städter reagieren würden, wenn sie unverheiratet ein Kind unterm Herzen trug. Ein Bankert, ein Soldatenkind, ein Franzosenkind … Genügend Leute hatten sie immer wieder mit Étienne gesehen – beim Tanz, bei dem Kuss auf die Wange …
Sie empfand es nicht als Sünde, was sie getan hatte. Aber für alle Welt würde es ein Kind der Schande sein.
Was hatte Nelli gesagt, deren Leib sich schon rundete? Es wird nicht das einzige Soldatenbalg sein, das in ein paar Monaten zur Welt kommt – ganz egal, ob nun preußisch, russisch oder französisch!
Dann dachte sie an Maximilian Trepte, stellte sich vor, er würde davon erfahren, und glaubte, vor Scham im Boden zu versinken.
Sie musste fortgehen. Bald. Noch ehe man etwas sah.
Doch wohin?
Sie war unvorsichtig gewesen, leichtsinnig, sie hatte die Regeln gebrochen und damit ihr Leben zerstört. Aber war es nicht schon längst zerstört? Wer konnte sehen, was im Land geschah und was noch geschehen würde, und dann noch hoffen?
Sie bereute es nicht. Sie hatte jemanden getröstet, der zum Sterben fortgegangen war. Vielleicht sah er nun einen Grund, weiterleben zu wollen.
Blutige Ehre
Wartenburg an der Elbe, 3 . Oktober 1813
H ier gehen wir über die Elbe!«, sagte General Blücher .
»Das heißt, uns zur Schlachtbank zu führen«, widersprach General Yorck gallig.
Sie standen im Morgennebel und blickten von dem Dorf Elster auf die wie ein U geformte Biegung des Flusses, die geradewegs zu einem Brückenschlag einzuladen schien.
Doch der Eindruck täuschte.
»Das Gelände ist extrem ungünstig, voller Wasser und Gräben. Die Brücke ist noch nicht fertig, und der Feind erwartet uns hinter sicheren Stellungen«, zählte Yorck seine Einwände auf. »Wir wissen nicht einmal, wie es hinter dem Damm dort aussieht und wie viel Mann da auf uns warten.«
»Wir gehen hier über die Elbe!«,
beharrte Blücher stur, und damit war die Diskussion beendet.
Er
war der Oberbefehlshaber dieser Armee, sehr zu Yorcks Verdruss, und dieses wochenlange Warten und Ausweichen, die vielen sinnlosen Märsche der Truppen mussten endlich ein Ende haben. Deshalb wollte er unbedingt über die Elbe, die drei alliierten Armeen zusammenführen und Bonaparte in die Enge drängen. Dann konnte sich Bernadotte auch nicht mehr mit Ausreden herauswinden. Nein, der sollte jetzt gefälligst mit ihm über den Fluss!
Johann Ludwig von Yorck schwieg entgegen seiner kompromisslosen Art.
Er und Blücher waren wie Feuer und Eis, obwohl beide verdiente Generäle der gleichen Armee, Seite an Seite kämpfend beim Rückzug der Preußen auf Lübeck 1806 , beide
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