1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
würde er schon ausrichten können? Und was meinte er mit: sich bewaffnen?
Ludwig lächelte ihr aufmunternd zu, schien noch etwas sagen zu wollen, aber dann drehte er sich um und ging wieder in die Werkstatt. Er war kein Mann großer Worte, ganz im Gegensatz zu Richard.
Von nun an schien die Zeit stillzustehen. Jette trat zum Fenster und lugte vorsichtig hinaus, aber so, dass niemand sie von draußen erkennen konnte.
Als die ersten rot-weiß-blau Uniformierten über den Untermarkt strömten, glaubte sie, ihr Herz würde vor Angst aufhören zu schlagen. Die Schreckensszene aus Weißenfels stand ihr plötzlich in abscheulicher Klarheit wieder vor Augen. Sie fing an zu zittern und legte sich mit klammen Fingern ein Tuch um die Schultern. Ihre Blicke huschten hin und her zwischen dem Geschehen auf dem Markt und der Tür, hinter der Ludwig stand.
Bitte, lieber Gott, lass sie weiterreiten!, flehte sie in Gedanken, als sich eine Gruppe von etwa zwanzig Männern dem Gerlachschen Haus näherte, zwei davon zu Pferde. Ihr Anführer musste nach den goldenen Epauletten und Verzierungen am Tschako einen höheren Rang bekleiden.
Nun hielt er vorm Haus und rief etwas, das Jette nicht deutlich genug verstehen konnte.
Friedrich Gerlach trat heraus, begrüßte die Männer höflich, wurde etwas gefragt, bejahte und wurde daraufhin mit schnell gesprochenen Anweisungen auf Französisch überschüttet.
Johanna Gerlach trat hinzu, ließ sich von ihrem Mann übersetzen, was von ihnen erwartet wurde, und begann zu reden und zu gestikulieren. Offenbar teilte sie ein, wer von den Fremden wo im Haus untergebracht wurde, wo die Pferde eingestellt werden sollten und was sonst noch alles zu regeln war. Ihr Mann übersetzte, so schnell er konnte, und versuchte, in dem Durcheinander dafür zu sorgen, dass Ruhe gewahrt blieb.
Die beiden Berittenen saßen ab. Lisbeths Sohn Karl und sein jüngerer Bruder Anton führten die Pferde in den Stall und schoben zwei Fuhrwerke voller Gepäck in die Remise. Dort war Platz, da ihr Vater mit seinem Gespann noch nicht aus Torgau zurück war. Friedrich Gerlach liebte es nicht zu reiten und besaß deshalb keine Pferde; so hatte er den hinteren Bereich des Grundstücks dem Mann seiner Köchin für dessen kleines Fuhrgeschäft überlassen.
Der Anführer der Gruppe – ein Major, wie Jette glaubte – sah sich kurz um und ging plötzlich direkt auf die Tür der Buchhandlung zu. Ihm folgte ein Jüngerer, der ihm unverkennbar ähnlich sah, ebenso mit dichtem schwarzem Haar, langen Koteletten und einem schmalen, sorgsam gestutzten Bart.
Rasch flüchtete Jette hinter den großen Ladentisch und hielt den Atem an. Weil ihre Hände flatterten, krallte sie die Finger in die Wolle des Schultertuches.
Mit einem hellen Glockenton öffnete sich die Tür.
»Bonjour, Demoiselle«, grüßte der Major und neigte höflich den Kopf. »Dies ist die örtliche Buchhandlung? Lassen Sie mich sehen, welch interessante Werke Sie hier haben. Mir steht der Sinn nach anregender Lektüre.«
Mit Mühe raffte Jette zusammen, was ihr noch an Französisch einfiel; ihr Verstand war vor Furcht wie gelähmt. Doch sie hatte verstanden, was der Offizier gesagt hatte, und mit jedem Wort geriet sie besser in den Fluss der fremden Sprache.
»Oh, Sie sprechen unsere Sprache, wie schön!«, meinte der Franzose. »Warum fürchten Sie sich dann so, Demoiselle? Wir sind keine Barbaren, sondern gebildete Leute, sehr kultiviert. Sie dachten doch nicht etwa, wir würden eine Buchhandlung plündern? Ich bitte Sie!«
Er zog spöttisch die Augenbrauen hoch und lächelte herablassend. »Gestatten, Major Guillaume de Trousteau, 4 . Grenadierregiment vom Korps des Marschalls Oudinot , und mein Sohn Étienne, Seconde-Lieutenant.«
Er wies auf seinen Begleiter, der sie ebenfalls mit einem Nicken und einem Lächeln grüßte und interessiert betrachtete. Dabei war er sehr jung für einen Offiziersgrad, vielleicht noch nicht einmal zwanzig Jahre alt.
»Sind Sie die Tochter des hiesigen Druckers?«, erkundigte sich der Major.
»Seine Nichte«, antwortete Jette auf Französisch und versuchte, den irrationalen Gedanken niederzukämpfen, er könnte wissen, dass sie womöglich einen seiner Landsleute niedergeschlagen hatte. »Meine Eltern sind tot.«
»Wie bedauerlich. Immerhin beschert uns das die Freude, die Bekanntschaft mit einer so hübschen jungen Dame zu machen.« Die Worte des Offiziers klangen charmant, er lächelte immer noch, doch dieses Lächeln
Weitere Kostenlose Bücher