1Q84: Buch 1&2
Voraus durchschaut hatte. Er hatte ein Faible für raffinierte Pläne. Er zog an geeigneter Stelle eine Linie und wich nicht mehr davon ab. Dennoch konnte man ihn als einen empfindsamen Charakter bezeichnen, und ein Großteil seines markigen Geredes und Getues war nicht mehr als harmlose Schauspielerei.
Komatsu sorgte gerne vor und sicherte sich ständig ab. Zum Beispiel schrieb er einmal in der Woche für eine Abendzeitung eine literarische Kolumne, in der er verschiedene Autoren positiv oder negativ besprach. Die negativen Besprechungen waren sehr streng. Solche Artikel waren Komatsus besondere Stärke. Die Kolumne war zwar anonym, aber jeder in der Branche wusste, wer sie schrieb. Es gibt wohl niemanden, dem es gefällt, wenn in der Zeitung schlecht über ihn geschrieben wird. Also achteten die Autoren darauf, Komatsu möglichst nicht zu reizen. Wenn ihnen von seiner Literaturzeitschrift ein Auftrag angeboten wurde, lehnten sie ihn nach Möglichkeit nicht ab. Zumindest übernahmen sie immer mal wieder einen. Denn wenn nicht, waren sie nicht sicher, was Komatsu in seiner Kolumne über sie schreiben würde.
Tengo gefielen Komatsus Machenschaften nicht. Auf der einen Seite verachtete er den Literaturbetrieb, auf der anderen nutzte er das System zu seinem Vorteil. Komatsu verfügte über einen ausgezeichneten Instinkt als Redakteur und tat sehr viel für Tengo. Die Ratschläge, die er ihm über das Schreiben erteilte, waren meist wertvoll. Dennoch hatte Tengo sich vorgenommen, bei seiner Bekanntschaft mit Komatsu Distanz zu wahren. Nicht dass er ihm in einem ungünstigen Augenblick die Leiter wegzöge. In dieser Hinsicht war auch Tengo ein sehr vorsichtiger Mensch.
»Wie gesagt, ich finde deine Überarbeitung von ›Die Puppe aus Luft‹ nahezu perfekt. Einfach großartig«, fuhr Komatsu fort. »Allerdings gibt es eine Stelle, wohlgemerkt nur eine, an der ich gerne noch etwas geändert hätte, wenn es geht. Es muss nicht jetzt sein. Für den Debütpreis reicht es so allemal. Später, wenn wir den Preis haben, kannst du dann noch einmal Hand anlegen. Wenn der Text in der Zeitschrift erscheint.«
»Um welche Stelle geht es?«
»Als die Little People die Puppe aus Luft gesponnen haben, stehen auf einmal zwei Monde am Himmel. Das Mädchen schaut hoch, und sie sind da. Erinnerst du dich?«
»Natürlich.«
»Meiner Ansicht nach reicht der Hinweis, dass nun zwei Monde da sind, nicht aus. Sie sind nicht ausführlich genug beschrieben. Ich möchte, dass du dieses Phänomen detaillierter und plastischer schilderst. Das ist meine einzige Bitte.«
»Vielleicht ist die Darstellung wirklich etwas spärlich. Aber ich wollte den Fluss von Fukaeris Original nicht mit großen Erklärungen unterbrechen.«
Komatsu hob die Hand, in der er die Zigarette hielt. »Sieh es doch mal so: Die Leser kennen den Himmel mit einem Mond. Verstehst du? Aber einen Himmel mit zwei Monden hat wohl noch keiner gesehen. Und wenn in einem Roman etwas vorkommt, das die Leser noch nie gesehen haben, brauchen sie in der Regel eine möglichst detaillierte und anschauliche Schilderung. Was man auslassen kann oder sogar muss, sind Beschreibungen von Dingen, die jeder kennt.«
»Ja, das verstehe ich«, sagte Tengo. Was Komatsu sagte, leuchtete ihm ein. »Ich werde den Teil mit den zwei Monden anschaulicher gestalten.«
»Gut. Dann ist es perfekt.« Komatsu drückte seine Zigarette aus. »Mehr habe ich nicht zu sagen.«
»Schön, dass meine Arbeit Ihre Zustimmung findet, aber so richtig darüber freuen kann ich mich nicht«, sagte Tengo.
»Du kommst gut voran«, sagte Komatsu nachdrücklich, als würde er einen Schlusspunkt setzen. »Als Schreibender, als Schriftsteller, meine ich. Das ist besser, als sich richtig zu freuen. Durch die Arbeit an ›Die Puppe aus Luft‹ hast du eine Menge über Literatur gelernt. Das wird dir sehr nützlich sein, wenn du beim nächsten Mal ein eigenes Werk schreibst.«
»Wenn es ein nächstes Mal gibt.«
Komatsu grinste breit. »Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Du hast deinen Teil erledigt. Jetzt bin ich an der Reihe. Du kannst auf der Tribüne sitzen und dir in aller Ruhe das Spiel anschauen.«
Die Kellnerin kam an ihren Tisch und schenkte kaltes Wasser ein. Tengo trank sein Glas zur Hälfte aus. Als er fertig war, merkte er, dass er gar kein Wasser hatte trinken wollen.
»War es Aristoteles, der sagte, dass sich die menschliche Seele aus Verstand, Mut und Begehren zusammensetzt?«, fragte
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