227 - Herr des versunkenen Reiches
Raubkatzen.
»Äähm. Ja, also hier ist was zu essen.« Quart’ol bückte sich hastig und stellte eine Schale mit aufbereiteten Meerespflanzen ab. Sie sahen aus wie jammervoll ertrunkene Endivien, schmeckten aber vorzüglich.
»Und hier…« Quart’ol hielt einen Moment inne, um die Dramatik seiner Ansage zu steigern. Man hörte den Stolz in der Hydritenstimme. »… ist euer Nachtlager.«
Matt zog ein Gesicht, als hätte ihm sein Freund in vollem Ernst ein Streichholz als Zahnstocher angeboten.
»Milchige Melonen?«, fragte er gedehnt. »Was sollen wir damit machen? Uns draufsetzen?«
»Aber nein.« Quart’ol lachte, gab erst Matt, dann Aruula einen fahlweißen kalten Knödel in die Hand. »Sucht euch euren Schlafplatz aus und werft sie dort auf den Boden. Na los! Keine Scheu!«
Die Barbarin hob das leichte, halbweiche Ding auf Augenhöhe. Misstrauisch roch sie daran, betrachtete es eingehend – und ließ es fallen. Es schwabbelte kurz auf der Stelle, dann begann es seitlich zu wachsen. Immer weiter.
Matt und Aruula wichen zurück, als der Knödel sich anschickte, den Fußboden zu erobern. Man hätte erwartet, dass Quart’ols merkwürdiges Geschenk beim Ausbreiten flacher werden und zerfließen würde. Doch das tat es nicht. Der Knödel behielt seine Form, wie von unsichtbaren Materialquellen gespeist, während um ihn herum eine Matratze entstand, die auf zehn Zentimeter Höhe anwuchs. Erst als sie fast zwei Quadratmeter Bodenfläche bedeckte, schmolz der Klops herunter und löste sich auf. Ein paar Schrecksekunden später war das Gebilde fest und dabei elastisch wie Silikon. Aruula ließ sich darauf fallen und räkelte sich, dass es Matt heiß und kalt zugleich wurde.
»Gut, was?«, fragte Quart’ol beifallheischend. »Vor allem, wenn man bedenkt, dass das eigentlich nur ein Abfallprodukt ist! Wir haben nach etwas geforscht, das das Loch im Felsendach zuverlässig verschließt und gleichzeitig dehnbar genug bleibt, um eventuellen Erschütterungen zu widerstehen.«
»Richtig, das Loch!«, fiel Matt wieder ein. »Wir haben die Stelle auf der Oberseite passiert und uns schon über das bionetische Material gewundert. Was ist da passiert?«
Quart’ols Miene verdüsterte sich, als er an die Geschehnisse zurückdachte. »Wir sind schon zum zweiten Mal hier in Gilam’esh’gad. Während des ersten Besuchs haben einige Plesiosaurier versucht, aus dem Bestiarium nach Gilam’esh’gad zu entkommen. Ihr Wüten hat einen Teil der Decke einbrechen lassen und die Waffenkuppel auf dem Plateau in Mitleidenschaft gezogen. Wir sind dann durch das Loch entkommen. Bei unserer Rückkehr mussten wir zusehen, dass es wieder verschlossen wurde, sonst hätten wir den Druckausgleich vergessen können. Glücklicherweise waren die Saurier längst ins offene Meer entkommen, sodass wir ungestört arbeiten konnten. Trotzdem hat es lange Monate gedauert, bis wir in den Aufzeichnungen auf eine wild wuchernde Variante des bionetischen Materials stießen und sie reproduzieren konnten. Sie besteht aus mikroskopisch kleinen Chimären (Lebewesen mit zwei unterschiedlichen DNS-Strängen) , die sich bei Kontakt mit Gestein tausendfach reproduzieren, aushärten und am Untergrund kleben bleiben. Letzteres wollte ich vorhin noch mal überprüfen. Nur deshalb sind wir uns oben an der Schleuse begegnet.«
Der Hydrit schnappte nach Luft. So viel und so schnell war er nicht gewohnt zu erzählen.
Matt räusperte sich. »Bei allem Respekt vor deinen Forschungsergebnissen: Warum um alles in der Welt seid ihr noch einmal hergekommen?«
Quart’ol legte den Kopf schief, er dachte nach. Dann sagte er: »Das ist eine lange und traurige Geschichte, mein Freund, die ich dir beizeiten erzählen werde. Nur so viel vorweg: Mein Volk hat mich verstoßen, und ein Geheimbund verfolgt mich aus Sorge, ich könnte die Wahrheit über die Geschichte der Hydriten und unsere Herkunft publik machen. Das hier«, er machte eine ausholende Armbewegung, »ist vermutlich neben der Todeswüste der einzige Ort, an dem man mich nicht vermuten wird.«
Matthew Drax blieb der Mund offen stehen. Er war geschockt. Quart’ol – ein Verfolgter, der sich vor seinesgleichen verstecken musste? Und warum? Weil er, Matthew Drax, ihm von den Geschehnissen auf dem Mars und den Hydree berichtet hatte?
»Warum Vogler und Clarice hier sind, werden sie euch selbst erzählen. Aber das hat Zeit bis morgen. Ich schlage vor, ihr haut euch erst mal aufs Ohr und erholt euch von den
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