9 Stunden Angst
aus dem Leib gepresst. Aber er sollte nicht ungestört bleiben. Der erste Schlag, den Denning ihm mit seiner Waffe verpasste, fühlte sich an, als hätte ihm jemand mit einem riesigen Hammer auf den Kopf geschlagen. George spürte, wie die Haut aufplatzte und das Blut spritzte. Der Schmerz war real, er war unerträglich, doch er blieb bei Bewusstsein und würgte weiter den Mann, der es für zulässig hielt, Kinder am heißesten Tag des Jahres in einen Kofferraum zu sperren. Er wollte diesen Mann umbringen. Den zweiten Schlag spürte er nicht.
Dann gingen alle Lichter aus.
13.02 Uhr
Zug Nummer 037 der Northern Line, fünfter Waggon
Als das Wasser durch die Türen kam, hoben sie Adam auf einen Sitz. Irgendjemand riet ihnen, seinen Beinstumpf hochzulagern. Trotz des Gürtels, den Hugh oberhalb der Wunde um sein Bein gebunden hatte, blutete er immer noch heftig.
Hughs Panik war verschwunden. Er hatte keine Ahnung, wie lange schon, nutzte die Tatsache, dass er wieder klar denken konnte, aber aus und grübelte über einen möglichen Fluchtplan nach. Auf einem der vielen quälenden Tagesseminare, zu denen ihn seine Vorgesetzten geschickt hatten, war ihm ein Lehrsatz in Erinnerung geblieben, dessen genaue Formulierung er vergessen hatte. Die zugrunde liegende Botschaft hingegen wusste er noch genau: Um ein Problem zu lösen, muss man immer weiter abwägen und Entscheidungen treffen. Sobald man damit aufhört, ist man geliefert. Inzwischen war Hugh klar, dass er etwas unternehmen musste. Niemand kam, um sie zu retten. Wenn sie jetzt nichts taten, würden sie alle sterben. Der Fahrer hatte die Warnung der Terroristen weitergegeben, dass sie Sprengstoff zünden würden, falls die Passagiere zu flüchten versuchten. Es gab also genau zwei Möglichkeiten: Sie konnten sich entweder auf der Flucht in die Luft sprengen lassen oder nichts tun und ertrinken. Hugh fiel die Entscheidung nicht schwer.
Die Beleuchtung brannte nur noch schwach und war schon mehrmals völlig erloschen. So erschreckend der Gedanke auch war, dass es in wenigen Augenblicken stockdunkel sein würde, es eröffneten sich dadurch neue Möglichkeiten. Nicht nur sie würden nichts mehr sehen, sondern auch die Entführer, was es ihnen erschweren würde, Angriffe abzuwehren.
Dass er so kurz nach seiner letzten Panikattacke Pläne schmiedete, machte Hugh stutzig. War diese plötzliche Klarheit nur eine weitere Erscheinungsform seiner Panik und würde wie alle anderen Stadien, die sie durchlaufen hatte, wieder verschwinden? Würde bald aufs Neue Orientierungslosigkeit in seinem Kopf herrschen? Die Möglichkeit bestand. Dennoch wusste Hugh mit einer Gewissheit, die er sich selbst nicht zugetraut hätte, dass es nur einen Ausweg aus ihrer Situation gab. Er hatte das Bedürfnis, seinen Plan zu äußern, ihn auszusprechen und dadurch real erscheinen zu lassen, auch wenn er nur für ihn selbst real war.
»Wir müssen versuchen, den Zug zurückzuerobern.« Er flüsterte diese Worte, weil er nicht wollte, dass ihn die Entführerin im nächsten Waggon hörte, aber ihm wurde schnell klar, dass er nur Gedanken in Worte kleidete, über die auch die anderen Fahrgäste seit geraumer Zeit nachdachten. Daniella, die attraktive New Yorkerin, die ihm geholfen hatte, Adam zu versorgen, sah ihn an und nickte. Auf den Gesichtern der anderen Passagiere, die im gelblichen Schein der schwächer werdenden Beleuchtung zu ihm herüberspähten, zeichnete sich ebenfalls Zustimmung ab.
»Wir bringen uns dadurch natürlich in Gefahr«, fuhr er fort. »Aber es ist unsere einzige Chance. Wenn die Entführer uns in die Luft jagen, dann soll es eben so sein.« Sein letzter Satz klang wie ein Filmzitat, und er musste innerlich schmunzeln, weil es so absurd war, dass ausgerechnet er, Hugh Taylor, einen solchen Satz sagte. Hier saß er und plante und koordinierte einen Versuch, den Zug zurückzuerobern. Völlig verrückt. Er musste weitersprechen, und sei es nur, um die eigenen Zweifel zu zerstreuen, die seine Entschlossenheit zu torpedieren drohten.
»Hat irgendjemand eine Waffe oder etwas Vergleichbares?« Ein Taschenmesser wurde nach vorne gereicht. Am liebsten hätte Hugh laut gelacht. Irgendjemand, der mit ihm in diesem metallenen Gefängnis festsaß, hielt ein Taschenmesser für eine geeignete Waffe im Kampf gegen eine psychotische Entführerin, aus deren Gewehr kanonenkugelähnliche Geschosse kamen. Er nahm das Messer dennoch entgegen und bedankte sich.
»Ich habe das hier«, meldete sich
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