9 Stunden Angst
ihre kranken Pläne auszureden, zur tickenden Zeitbombe mutiert, die man eventuell lieber auf die Ersatzbank verbannte. »Ich kann nur wiederholen, was ich von Commander Boise weiß.« Dass Laura Boises Dienstgrad betonte, war ein klares Anzeichen dafür, dass sich vor Ed eine Tür schloss. »Bei jedem Einschreiten sind wir mit individuellen Problemen konfrontiert, an die wir die Strategie anpassen müssen.«
So sehr Ed Lauras Fähigkeiten als Koordinatorin respektierte, sie war Teil des Machtgefüges aus Regierung und Geheimdiensten. Ihr waren die Hände gebunden. Falls es eine Lösung mit möglichst wenigen menschlichen Verlusten gab, würden es nicht die Behörden sein, die diese herbeiführten, das wurde ihm immer deutlicher bewusst. Doch es waren noch nicht alle Optionen ausgeschöpft. Ed kannte eine Person, der es gelingen könnte, die Insassen des Zuges zu retten. Er war bereit, es zu riskieren und sich über sämtliche bürokratischen Hürden hinwegzusetzen.
Nachdem Laura den Mitgliedern des Verhandlungsteams ihre Anweisungen gegeben und sie gebeten hatte, sich so schnell wie möglich am Leicester Square einzufinden, drehte sich Ed zum Epizentrum der Aftershave-Wolke um, die von Mark Hooper ausging, und sagte: »Ich muss mit Howard Berriman sprechen. Sofort.«
13.05 Uhr
Zug Nummer 037 der Northern Line, erster Waggon
George hatte das Gefühl, sich selbst von einem weit entfernten Ort dabei zuzusehen, wie er wieder zu Bewusstsein kam. Der Kern seines Wesens war immer noch da, immer noch am Leben, schien sich jedoch in den hintersten Winkel seines Verstandes zurückgezogen zu haben. Stille, Schmerzen. Die Seite seines Kopfes fühlte sich an, als schlüge dort ein zusätzliches Herz unter der aufgeplatzten Haut. Jeder Schlag dieses Herzens verursachte einen scharfen, beinahe unerträglichen Stich. Irgendjemand stöhnte. Ihn traf die Erkenntnis, dass er das selbst war. Irgendwie half ihm das Ausstoßen dieses Geräuschs, die Schmerzen zu ertragen. Als er die Augen öffnete, leuchtete ihm jemand mit einer Taschenlampe ins Gesicht.
»Tut mir leid, George, ich glaube, ich habe dir ein bisschen den Schädel angeknackst. Ich wollte dich nicht erschießen. Du bist mir wichtig.«
George erkannte die Stimme, sie war ihm vertraut. Bestimmt gehörte sie einem alten Freund. Was sagte dieser Freund da? Wieso erschießen? Er stellte fest, dass er auf einer Sitzreihe in einem U-Bahn-Waggon lag. Warum war er nicht im Führerhaus und steuerte den Zug? Der Waggon war voll mit Wasser. Und wo waren die Fahrgäste? Warum brannten die Lichter nicht? Er konnte sein Bein nicht bewegen, jedenfalls nicht sehr weit. Dabei tat es überhaupt nicht weh. Als er an seinem Körper hinunterblickte, entdeckte er eine Kette und ein Schloss, mit denen sein Fußgelenk an einer gelben Stange festgekettet war. Was hatte das zu bedeuten? Nachdem sich seine Augen an das grelle Licht der Taschenlampe gewöhnt hatten, konnte er das Gesicht der Person erkennen, die sie auf ihn richtete. Die rechte Gesichtshälfte des Mannes war eine einzige klaffende Wunde, und an seinem Hals waren rote Striemen zu sehen. George kannte den Mann von irgendwoher.
»Sind Sie wieder da? Gott sei Dank, ich möchte wirklich nicht, dass Sie das Ende verpassen. Bevor Sie ohnmächtig geworden sind, haben Sie wahrscheinlich gedacht, dass ich Sie erschossen habe und Sie nie wieder aufwachen. Vielleicht hatten Sie auch gar keine Zeit mehr etwas zu denken. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Und für die Sache mit Ihren Kindern entschuldige ich mich ebenfalls.«
Kinder?
Der Download war abgeschlossen, das Programm lief wieder. Die Erinnerung kehrte zurück, und George schoss aus seinem Sitz und stürzte sich erneut mit ausgestreckten Händen auf Denning. Mitten im Sprung zog sich die Kette um sein Fußgelenk stramm, und er fiel ins Wasser, wo er wild um sich schlug, bevor er sich auf alle viere erhob und Denning wütend anstarrte.
»Sind Sie vollkommen übergeschnappt?«, schrie er. Kurzzeitig übertraf der Schmerz in seinem Fußgelenk den seiner Kopfwunde. »Sie können bei dieser elenden Hitze keine Kinder in einen Kofferraum sperren! Was für ein Tier sind Sie eigentlich, verdammt noch mal? Sie bringen einfach grundlos Menschen um und behaupten hinterher, Sie täten es für Gott.«
»Ich tue es nicht für Gott, sondern für uns alle. Für Sie genauso wie für jeden anderen. Wir haben alle noch so viel zu lernen.«
»Und was lernen wir aus dieser Sache hier?« George
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