9 Stunden Angst
und das war das Einzige, was zählte, auch wenn diese Lösung mit Sicherheit illegal war und gegen jedes Protokoll verstieß.
»Da sind wir«, riss Calvert Ed aus seinen Gedanken und hielt am Straßenrand.
»Sie bleiben hier, Frank«, ordnete Ed an. »Wir sind gleich wieder da.« Der Professor erklärte sich murmelnd einverstanden, und Ed öffnete die Tür und trat auf den Gehweg hinaus, wo ihm Calvert seinen Arm anbot. Untergehakt gingen sie die Stufen zum Leinpfad am Ufer des Kanals hinunter. Der Geruch von öligem Wasser drang in Eds Nasenlöcher.
»Der Kollege, der bereits bei ihm ist, hat gesagt, dass er ziemlich ungehalten darüber ist, ohne Angabe von Gründen festgehalten zu werden«, erklärte Calvert.
»Kann ich mir vorstellen«, erwiderte Ed.
»Angeblich droht er bereits mit einer Klage.«
»Das kann ich ihm nicht verdenken. Hören Sie, Nick: Sie bringen mich nur rein und lassen mich dann mit ihm allein, ja? Ich will nicht, dass Sie in die Sache hineingezogen werden.«
»Ich stecke doch schon mittendrin, Ed.«
»Sie können sich jederzeit abseilen, Nick, das wissen Sie.«
»Ich weiß«, sagte Nick Calvert seufzend. So klang er vermutlich, wenn er mit seinen Kindern schimpfte. Es war nicht der Tonfall eines Mannes, der bereits am Ende mit seiner Geduld war. Ed nahm es dankbar zur Kenntnis. In wenigen Augenblicken würde er dem Mann begegnen, dessen Schicksal sich vor dreizehneinhalb Jahren auf so grausame Weise mit seinem verknüpft hatte. Wie viel einfacher wäre es gewesen, wenn er Hunderte Kilometer entfernt gewohnt hätte oder bereits vor Jahren gestorben wäre. Dann hätte Ed wenigstens gewusst, dass er nicht mehr tun konnte. Da Joyce jedoch lebte und ganz in der Nähe wohnte, war Ed zum Handeln gezwungen. Eine solche Chance durfte er nicht einfach ignorieren.
Sie gingen den Leinpfad entlang, und Calvert sprach mit einem Polizeibeamten, bevor er Ed an Deck eines Hausbootes führte.
»Ich bin gleich wieder da, Nick.«
»Ist gut.«
Ed hörte, wie Calvert zurück auf den Leinpfad trat und ein Gespräch mit dem Polizisten anfing. Die Luke zur Kajüte stand offen. Ed fuhr mit den Fingern über das Holz und klopfte.
»Kommen Sie rein.« Es war dieselbe Stimme, die vor all den Jahren geschrien hatte: »Ihr Arschlöcher habt zugelassen, dass sie stirbt!« Jetzt klang die Stimme ruhiger, aber es lagen immer noch dieselbe Feindseligkeit und derselbe Argwohn in ihr. Ed hatte Conor Joyce nie gesehen, bevor er das Augenlicht verlor, erinnerte sich jedoch, dass man ihm ein Foto gezeigt hatte. Auf diesem Foto war er klein und muskulös gewesen, mit kantigem Kinn und kurzen, bereits im Alter von Anfang vierzig ergrauten Haaren. Jetzt musste er Mitte fünfzig sein.
»Hallo, Conor.«
Ed machte einen Schritt nach vorne in die Kajüte. Conor würde ihn nicht mit Anweisungen unterstützen oder seinen Arm nehmen. Ein unverkennbar männlicher Geruch schlug ihm entgegen. Dieses Boot war das Zuhause eines alleinstehenden Mannes, der es offenbar nicht mehr so genau mit seiner Körperpflege nahm. Die Luft war abgestanden, Tabakrauch konkurrierte mit fettigem Essen und menschlichen Ausdünstungen.
»Die haben Ihr Gesicht ja wieder ganz gut zusammengeflickt. Sie sahen ziemlich schlimm aus, als ich Sie das letzte Mal gesehen habe.«
»Ja, die Ärzte haben sich Mühe gegeben. Ich wünschte, es wäre damals alles anders gelaufen.«
»Wem sagen Sie das.«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, komme ich direkt zur Sache.«
»Tun Sie das.«
Conors Stimme klang aggressiv. Er war nicht bereit, Ed in irgendeiner Form entgegenzukommen. Die Polizei war in sein Zuhause eingedrungen, wie sie es im Laufe der Jahre vermutlich schon öfter getan hatte. Aus Selbstschutz hatte er eine Mauer der Feindseligkeit um sich herum errichtet, die Ed nun einreißen musste. Und zwar möglichst schnell.
»Ich gehe davon aus, dass Sie die Nachrichten verfolgt haben.«
»Ja, heißester Tag des Jahres und so. Vielleicht lege ich mich nachher noch ein bisschen in die Sonne.«
»Es geht um eine Zugentführung mit terroristischem Hintergrund. Eine bewaffnete Bande hat eine U-Bahn in ihre Gewalt gebracht und hält die Insassen nun in einem U-Bahn-Tunnel als Geiseln. Die Entführer drohen, den Tunnel zu fluten und alle zu ertränken.«
»Ja, darüber habe ich vorhin was im Fernsehen gesehen. Üble Geschichte.«
»Die Entführer sind religiöse Fanatiker.«
»Islamisten?«
»Nein, Christen.«
»Christen? O Mann.«
»Wir glauben, dass Sie uns
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