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9 Stunden Angst

9 Stunden Angst

Titel: 9 Stunden Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Kinnings
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zurückkehrte wie zu einer juckenden Wunde, die man kratzen muss, ob man will oder nicht.
    Die Uhr tickte. Wenn er die Kinder nicht bald fand, würden sie sterben. Er nahm einen Schluck Wasser und verließ den Laden, um seine Suche fortzusetzen. Als er kurz darauf eine Autoreihe passierte, an der er bereits mehrmals vorbeigekommen war, hörte er endlich ein leises Weinen und dann ein gedämpftes Klopfen. Nun musste er nur noch herausfinden, aus welchem Auto die Geräusche gekommen waren. Nachdem er noch einige Male hin und her gegangen war, stand der Wagen fest: Es war ein dunkelblauer Vauxhall. Alistair drückte auf den Knopf, und die Klappe sprang auf. Der Kofferraum war nicht einmal abgeschlossen. Dort saßen sie vor ihm, verschwitzt und verängstigt, ansonsten jedoch unversehrt. Sie blinzelten ins grelle Sonnenlicht, während sie aus dem Kofferraum kletterten und vor ihm stehen blieben. Das kleine Mädchen weinte, und der Junge nahm die Hand seiner Schwester und blickte Alistair fragend an. »Wo sind meine Mummy und mein Daddy?«
    »Sie mussten für kurze Zeit verreisen, sind aber bald wieder da«, antwortete er. »Sie haben mich gebeten, auf euch aufzupassen, bis sie zurückkommen.«
    »Wie heißt du?«, fragte das kleine Mädchen unter Schluchzern.
    »Ich heiße Alistair und bin euer Freund.«
    »Ich habe Durst, Alistair«, sagte der Junge.
    »Na kommt, dann gönnen wir uns ein schönes kaltes Getränk.«
    Er schlug den Kofferraum zu und schob die Kinder in Richtung Eckladen. Dabei hörte er weder die Autos, die an der Einfahrt zum Parkplatz hielten, noch die Schritte, die auf ihn zukamen. In Gedanken war er ganz bei den Kindern und den kalten Getränken, die er für sie kaufen würde. Er hatte ihnen das Leben gerettet, und darauf war er stolz.
    Doch dann hörte er eine Stimme, die durch ein Megafon schallte, und wusste, dass sie nur ihm gelten konnte.
    »Sie da, der Mann in Jeans und grauem T-Shirt. Bleiben Sie, wo Sie sind.« Außer ihm war auf dem Parkplatz kein Mensch in Jeans und grauem T-Shirt zu sehen. Alistair drehte sich um und entdeckte die Polizisten. Sie sahen anders aus als sonst. Vermutlich Sondereinsatzkräfte, die mit dem Fall Tommy Denning zu tun hatten. Sie kauerten am anderen Ende des Parkplatzes hinter einer Autoreihe und waren eindeutig bewaffnet. Er hatte nichts falsch gemacht, sondern nur zwei Kinder gerettet, die sonst vielleicht gestorben wären. Man würde es dennoch so darstellen, als hätte er etwas mit der Sache zu tun, sei vielleicht sogar Tommys Komplize. Sie würden in ihren Computern nachsehen und sein Vorstrafenregister finden.
    »Alistair, was wollen die Männer?«, fragte der kleine Junge, doch bevor Alistair antworten konnte, wurde die heiße Luft wieder von der Stimme aus dem Megafon durchschnitten.
    »Sophie! Ben! Lauft in die Richtung, aus der ihr diese Stimme hört. Kommt zu uns!«
    »Ihr tut lieber, was der Mann sagt«, drängte Alistair. Das kleine Mädchen hatte wieder angefangen zu weinen. Es war so jung, so unschuldig, hatte es nicht verdient zu leiden. »Du brauchst keine Angst zu haben, Sophie«, sagte er. »Es wird alles gut. Na los, dir passiert nichts. Geh einfach zu den Autos dort drüben.« Sie marschierte tatsächlich los, und ihr Bruder folgte ihr. Jetzt war Alistair ganz allein. Er hatte nichts falsch gemacht. Aber das spielte keine Rolle. Nicht mehr.
    Sie würden nichts kapieren, wie immer. Sie würden ihn konsequent falsch verstehen, würden ihm seine Worte im Mund umdrehen und es so hinstellen, als hätte er den Kindern etwas antun wollen. Sie würden behaupten, dass er mit Tommy Denning unter einer Decke stecke, obwohl er doch in Wirklichkeit alles in seiner Macht Stehende getan hatte, um zwei unschuldige Kinder vor Tommys Wahnsinn zu retten. Man würde ihn fragen, warum er nicht sofort zur Polizei gegangen war. Sein Wunsch, den Kindern zu helfen, würde als subversiver Akt interpretiert werden, man würde ihm unterstellen, dass er sie hatte entführen wollen. Es würde ihm nicht gelingen, die Polizei vom Gegenteil zu überzeugen. Sie würde ihren eigenen Tathergang rekonstruieren, der mit der Wahrheit nichts zu tun hatte. Im Laufe seines Lebens hatte Alistair so viele Stunden auf Polizeiwachen und in Gefängniszellen verbracht, dass er den Gedanken, erneut verhaftet zu werden, nicht ertrug.
    Er wusste, was er zu tun hatte. Er musste schauspielern. Als kleiner Junge hatte er bei sämtlichen Theateraufführungen seiner Schule mitgemacht und seine Rollen

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