9 Stunden Angst
auf das sie sich konzentrieren konnte und das sie von der erdrückenden Verzweiflung ablenkte. Die Angst wurde dadurch nicht weniger, doch Hughs Plan war zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer.
Hugh war der Erste, der die Aufmerksamkeit der Entführerin auf sich zu ziehen versuchte. Seine Mitstreiter gingen hinter dem Ende des fünften Waggons in Deckung, während Hugh am Fenster zum sechsten Waggon stand, gegen die Glasscheibe hämmerte und darauf wartete, dass die Frau auf ihn feuerte. Als sie es tat, sprang er zurück, woraufhin das Geschoss aus ihrer Waffe das Fenster der hintersten Seitentür durchschlug und ein tellergroßes Loch hineinriss. Die berstenden Glassplitter flogen durch den Tunnel, prallten von den Wänden ab und trafen Hugh am Hinterkopf. Als er mit der Hand danach tastete, waren seine Finger feucht von Blut.
Genau wie es der Plan vorsah, hämmerte nun ein junger Iraner auf der anderen Seite des Waggons ans Fenster. Der Schuss, den die Frau daraufhin abfeuerte, traf die metallene Seitenwand und sprengte ein zerklüftetes Loch hinein. Es folgte ein Ruf von Hugh, und dieses Mal zog er nicht sofort den Kopf ein, als die Entführerin die Waffe hob. Für eine Sekunde erwiderte er ihren Blick, der ihn am Lauf der Waffe entlang fixierte. Dann warf er sich nach hinten, während sie abdrückte. Nachdem er sich das trübe Wasser aus den Augen geblinzelt hatte, sah er ein Loch im Fenster der Tür. Es war groß genug. Er wartete, bis seine Mitverschwörer von der gegenüberliegenden Seite nach ihr gerufen hatten, und vergewisserte sich, dass die Frau ihm den Rücken zudrehte.
Er musste sich beeilen. Nachdem sein Fuß festen Halt an der Waggonwand gefunden hatte, stemmte er sich nach oben und warf sich dann kurzentschlossen durch das Loch im Fenster. Das zersplitterte Glas blieb an seinem Rücken und seiner Brust hängen, als er in den Waggon stürzte. Er hielt die Luft an und rollte sich unter Wasser zu einem Ball zusammen. Kurz darauf schlug ein großkalibriges Geschoss neben ihm im Metall der Sitzreihen ein.
Er hatte es hineingeschafft.
Nachdem er vorsichtig den Kopf über Wasser geschoben hatte, warf er einen Blick zu dem Iraner hinüber, der an die Seitenwand des Waggons hämmerte, um die Entführerin abzulenken. Diesmal wich er zu spät aus. Ihr Geschoss riss ihm den halben Kopf weg.
Hugh drehte sich unter Wasser um, blieb in der Hocke und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Ende der Sitzreihe. Nachdem er die Augen knapp über die Wasseroberfläche geschoben hatte, beobachtete er, wie sich ein weiteres Mitglied seines Teams näherte. Der Mann trug einen schwarzen Anzug und schob sich zwischen Tunnelwand und Zug entlang. Er wollte an die Seitenwand des Zuges klopfen, doch die Entführerin entdeckte ihn schon vorher und feuerte einen Schuss auf ihn ab, der das Metall der Waggontür krachend durchschlug. Der Mann wurde von irgendetwas getroffen, vermutlich von einem Splitter des Geschosses, und sank ins Wasser. Hugh hörte ihn keuchen und aufschreien, aber er bewegte sich noch und zog sich deutlich hörbar entlang der Seitenwand des Zuges zum fünften Waggon zurück.
Daniella Langton vermutete, dass sie sich nun auf einer Höhe mit der Entführerin befand. Sie musste über den Körper des jungen Iraners hinwegsteigen, dessen Glieder schwer und unbeweglich im Wasser trieben. Wenn sie zu viel Lärm machte, würde die Frau durch die Seitenwand auf sie schießen, und dann wäre alles zu Ende. An dieser Stelle war kaum Platz zwischen Waggon und Tunnelwand. Daniella musste sich durch die Engstelle zwängen, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Wieder einmal hatte sie ihre eigenen Fähigkeiten überschätzt. Ihre Mutter, die sich nie eine Gelegenheit entgehen ließ, ihre Tochter herunterzumachen, hielt ihr dies oft genug vor. Sogar in Beurteilungsgesprächen in der Arbeit bekam sie regelmäßig zu hören, dass sie sich selbst überschätzte. Jetzt würde sie dieser Charakterfehler das Leben kosten.
Auf der anderen Seite des Zuges ertönte erneut ein Schuss. Das war ihr Moment, ihre große Chance. Sie zwängte sich durch die Engstelle, und ihre Kleider schabten an der Waggonwand entlang. Dann warf sie sich nach vorn ins Wasser und tauchte so tief sie konnte, bis ihre Finger den Schotter am Tunnelboden berührten. Das Explosionsgeräusch der Geschosse wurde vom Wasser gedämpft, doch als sie neben Daniella in der Waggonwand einschlugen, platzte ihr fast das Trommelfell. Sie zog sich weiter am Boden
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