9 Stunden Angst
Er heißt Varick Mageau und wurde nach dem Hurrikan Katrina verdächtigt, auf Plünderer geschossen zu haben. Es scheint, als sei Cruor Christi darauf spezialisiert, Menschen mit einer problematischen Vergangenheit aufzunehmen, hauptsächlich in Bezug auf Drogen oder Kriminalität.« Laura blätterte zu einer anderen Seite. »Zur Gemeinde zählen unter anderem ein Kerl, der acht Jahre für bewaffneten Raubüberfall einsaß, sowie einer, der sein Haus abgefackelt hat, aber wegen verminderter Schuldfähigkeit straflos davonkam. Ach ja, und dann hätten wir da noch Bruder Alistair Waller, einen ehemaligen Heroinabhängigen.«
»Klingt ja nach einem reizenden Haufen«, bemerkte Ed. »Gehen wir also davon aus, dass diese Zugentführung von Cruor Christi als Kollektiv begangen wurde, oder ist Tommy Denning ein aggressiver Einzelgänger?«
»Ich halte ihn für einen Einzeltäter«, mischte sich Hooper ein.
»Was macht Sie da so sicher?«, fragte Ed. »Schließlich sind Komplizen bei ihm im Zug. Nein, das ist nicht die Aktion eines einsamen Wolfes.«
Hooper hatte keine Gelegenheit zu widersprechen, denn Laura Massey sagte: »Ed, ich möchte Ihnen Professor Frank Moorcroft vorstellen.«
Ed streckte die Hand aus und spürte den schwachen Händedruck eines alten Mannes. Er atmete ein und nahm den Geruch des Professors in sich auf. Dessen Hauptkomponenten waren Bücher, Papier und die abgestandene Luft modriger Büros und Seminarräume. Es war der Geruch eines Mannes, der sein ganzes Leben in akademischen Gefilden verbracht und außerdem an diesem Morgen vergessen hatte, zu duschen oder ein Bad zu nehmen.
»Freut mich, Sie kennenzulernen.« Die Stimme des Professors klang nervös und sogar ein wenig schuldbewusst, so als hätte man ihn bei etwas Unerlaubtem erwischt.
»Professor Moorcroft ist Experte, was Architektur, Bauweise und technisches Inventar der Londoner U-Bahn betrifft«, erklärte Laura.
»Schön, dass Sie hier sind, Professor Moorcroft. Ich komme gleich zur Sache: Man hat Sie sicher bereits darüber unterrichtet, dass wir es mit einer Geiselnahme in der Londoner U-Bahn zu tun haben. Terroristen haben einen Zug mit über dreihundert Fahrgästen in ihre Gewalt gebracht. Wir glauben, dass sie vorhaben, den Tunnel zu fluten, in dem sich der Zug befindet. Um erfolgreiche Verhandlungen führen und das psychologische Profil der Täter richtig einschätzen zu können, müssen wir unbedingt wissen, ob es theoretisch möglich ist, eine ausreichende Menge Wasser in den Tunnel zu leiten, um das Leben der Zuginsassen ernsthaft zu gefährden.«
»Nun ja, es ist tatsächlich so, dass innerhalb des Londoner U-Bahn-Netzes zahlreiche Wasserleitungen, Kanäle und unterirdische Flüsse verlaufen.«
Professor Moorcroft war ein Wissenschaftler, dessen Meinung unter Fachleuten auf der ganzen Welt gefragt war, aber dass man ihn in einer so dringlichen und gefährlichen Angelegenheit um Rat fragte, überforderte ihn sichtlich. Er verbarg seine Unsicherheit hinter einem Auftreten, das er vermutlich vor seinen Studenten an den Tag legte, hinter einem Tonfall, der deutlich machte, wer der Gebildete und wer die weniger Gebildeten waren. Ed hatte dieses Verhalten bei Wissenschaftlern schon häufiger beobachtet und war gern bereit, mitzuspielen und die Rolle des »weniger Gebildeten« einzunehmen, wenn ihm Moorcroft im Gegenzug so schnell und effektiv wie möglich die benötigten Informationen lieferte.
»Die Geiselnahme hat sich im West End ereignet, nicht wahr?«, fragte Moorcroft.
»Zwischen Leicester Square und Tottenham Court Road, in nördlicher Fahrtrichtung.«
»Ah, dann handelt es sich bei der Wasserquelle mit Sicherheit um den Lime, einen unterirdischen Fluss. An dieser Stelle ist er kaum mehr als ein großes Wasserrohr, aber wenn man ihn auf irgendeine Weise anzapfen würde, hätte man es mit einer erheblichen Wassermenge zu tun.«
Der Professor wirkte ein wenig kauzig, aber Ed war dankbar für seine Deutlichkeit und Konzentration auf das Wesentliche. Was Moorcroft als Nächstes sagte, bestätigte Eds Befürchtung, dass es sich bei Tommy Denning um einen ernst zu nehmenden, zu allem entschlossenen Widersacher handelte.
»Das Problem bei der Sache ist, dass der U-Bahn-Tunnel an der betreffenden Stelle besonders tief liegt, verglichen mit den U-Bahn-Stationen davor und dahinter. Um es noch schlimmer zu machen, ist der Boden auch noch kaum porös. Der Tunnel würde also im Handumdrehen volllaufen. Diese Leute wussten
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