9 Stunden Angst
ziehen, wo er leichter gestürmt werden könnte. Ein Mangel an Optionen ist nicht unser Problem. Unser Problem ist, dass die effektivsten Lösungen gleichzeitig die schwierigsten sind.«
»Inwiefern?«, fragte Berriman.
»Die Entführer müssen unschädlich gemacht werden, bevor sie den Sprengstoff zünden können. Wenn wir von beiden Seiten Scharfschützen in den Tunnel schicken, die die Entführer im ersten und letzten Waggon erschießen, wissen wir immer noch nicht, wie viele weitere Komplizen entlang des Zuges postiert sind und den Sprengstoff zünden könnten.«
»Glauben Sie an die Existenz dieses Sprengstoffs?«, wollte Berriman wissen.
»Solange wir nicht das Gegenteil herausfinden, müssen wir davon ausgehen.«
»Wie lange wird es dauern, bis der Tunnel unter Wasser steht?«
»Weniger als zwei Stunden, wenn wir Pech haben.«
Jetzt schaltete sich eine weitere unverkennbare Stimme ein, die Ed schon unzählige Male in den Nachrichten gehört hatte: die des Innenministers. »Glauben Sie, dass dort unten im Zug jemand ist, der versuchen könnte, Gegenmaßnahmen zu ergreifen? Ein Polizist oder Soldat vielleicht?«
»Das wäre natürlich großartig«, sagte Ed, »ist aber leider unwahrscheinlich.«
»Sind Sie sicher, dass es eine kluge Entscheidung war, den Entführern die gewünschte Medienaufmerksamkeit zu verschaffen?«
Ed kannte das Protokoll gut genug, um zu wissen, dass er gegenüber höhergestellten Personen eine gewisse Unterwürfigkeit an den Tag legen musste. Die Polizei stand in der Befehlskette unterhalb von Geheimdienstagenten und Politikern.
»Als Verhandlungsführer lag diese Entscheidung nicht in meiner Hand, aber ich weiß, dass die Einsatzleitung und die verschiedenen Koordinatoren ausführlich darüber diskutiert haben. Meiner persönlichen Ansicht nach kann uns die Internetverbindung wertvolle Erkenntnisse über die Passagiere im Zug liefern. Möglicherweise ist ja doch jemand unter ihnen, den wir für unsere Zwecke mobilisieren können. Außerdem hat Denning darauf beharrt, dass wir seine Forderungen nur auf diesem Wege erfahren, und wir müssen diese Forderungen kennen, um unsere Verhandlungstaktik anpassen zu können.«
In der Leitung herrschte Schweigen. Ed war noch nicht oft mit Politik in Berührung gekommen, wusste jedoch, dass die Angst davor, falsche Entscheidungen zu treffen, unter Politikern allgegenwärtig war. Auch bei den Mitgliedern des Komitees war diese Angst deutlich zu spüren, aber auf seiner Blindenuhr war es drei Minuten vor zwölf, und er wurde anderswo gebraucht.
»Ich fürchte, ich muss jetzt zurück in die Verhandlungszelle. Denning verkündet um zwölf seine Forderungen.« Ed wartete nicht auf eine Bestätigung seiner Vorgesetzten, sondern gab das Telefon einfach an Laura zurück und sagte: »Wir sollten uns auf den Weg machen.«
11.54 Uhr
Zug Nummer 037 der Northern Line, Fahrerkabine
George beobachtete Denning beim Beten. Seine Augen waren fest geschlossen, und er konzentrierte sich ganz auf sein Gebet, in dem wiederholt von »Lieber Gott« und »Himmlischer Vater« die Rede war und in dem er um Segen für seinen »gefährlichen Auftrag« bat. Sie knieten einander auf dem Boden der Kabine gegenüber, und ihre Knie klebten auf dem sirupartigen Blut des Azubis. George dachte lieber nicht darüber nach, wie realistisch seine Chancen waren. Er hatte in seinem Leben nur ein einziges Mal zugeschlagen: als Zwölfjähriger, nachdem es der Schultyrann mit seinen Hänseleien zu weit getrieben hatte. Er hatte dem Dreckskerl die Nase gebrochen, was großen Ärger nach sich gezogen hatte. Fast wäre George der Schule verwiesen worden. Es hatte sich dennoch gelohnt, denn danach hatte er sich um Längen besser gefühlt. Damals wie heute hatte er rasenden Zorn verspürt, doch der Unterschied bestand darin, dass seine jetzige Wut von nackter Angst gelähmt wurde, die ihn schwächte und seine Muskeln schlaff und zittrig machte. Denning hingegen war jung und durchtrainiert. Ein halbherziger Angriff könnte für George und seine Familie tödliche Folgen haben.
»Und segne auch meine Schwester, lieber Vater, deine bescheidene Dienerin Belle. Ihr Herz ist rein, und ihr Wille ist stark.« Es hörte sich an, als würde Denning allmählich zum Ende kommen. Wenn George zuschlagen wollte, musste er es jetzt tun, sonst war die Chance vertan. Dennings Augen waren immer noch geschlossen, als er ausholte und ihn mit der Faust mitten im Gesicht traf. Es war kein schlechter Boxhieb,
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