~900 Meine Reise auf dem spanischen Jakobsweg. (German Edition)
schutzlos ausgeliefert, in diesem winzigen Dörfchen. Ich versuche mich mit Gedanken abzulenken. Ein ‚buen camino‘ schallt über den Weg an dem ich sitze und ich muss lächeln.
Während ich unterwegs bin, heitern mich die typischen Grüße der Pilger ‚buen camino’ und ‚buen viaje’ oft auf. Es tut gut angespornt zu werden, von Menschen die ich noch nie gesehen habe, die ich vielleicht auch nie wieder sehen werde. Besonders bedeutend finde ich die Zurufe von Einheimischen, die sich trotz des beständig wachsenden Pilgerstroms immer noch nicht zurückziehen, sondern Pilgern wie mir über den Weg helfen, auch einfach indem sie grüßen.
Als ich mein Handy einschalte um Susanne anzurufen schaue ich auf das Datum. Morgen ist Sonntag. Morgen ist Sonntag?! Ich seufze und grüble. Ich habe vergessen einzukaufen. Schlimmer ist jedoch, dass es in diesem kleinen Dorf keinen Supermarkt gibt. Wovon ich mich ernähren soll weiß ich nicht. Zu schnell habe ich wohl das Gefühl für Stunden und Tage verloren. Vielleicht gibt es doch einen Supermarkt , denke ich. So muss ich noch einmal aufstehen, erkunde das Dorf. Vielleicht 20 Minuten lang schleiche ich herum, humple hin und her und weiß nicht recht wohin. Aber auch so bekommt man Zeit herum, diesen lästigen Begleiter dieses Tages. Zudem finde ich, etwas versteckt, doch einen kleinen Supermarkt und kann mich für den Tag und den nächsten mit Essen versorgen.
Etwas griesgrämig versuche ich die Lektion in Geduld, die mir heute gestellt wird, anzunehmen so gut es geht. Es geht eben einfach nicht weiter, mit dem Knie bringe ich keinen Meter mehr hinter mich, ich muss Urlaub machen und in der Sonne sitzen. Wenigstens ist das Wetter toll. Ich entspanne mich, so gut ich kann. Es ist schwierig mit tausenden von Gedanken im Kopf, ich dränge sie fort, schaue in die Sonne, finde etwas Stille in der warmen Sommerluft.
24.08.08 19km nach Puente la Reina - Jeder Tag ist Abschied, jeder Tag ist willkommen.
Ich schlafe richtig gut, breche gut gelaunt auf und stelle fest: Auch das Knie ist gut! Nicht perfekt, aber doch viel besser als gestern. Trotzdem überholen mich – wie immer – alle anderen, aber es fühlt sich nicht mehr so schlecht an. Ich habe mich daran gewöhnt, kann mein eigenes Tempo annehmen. Zwei Mal bekomme ich auf dem Weg noch liebe medizinische Hilfe aufgedrängt, die ich nach kurzen Widersprüchen gerne annehme. Rührend, wie sehr sich Pilger umeinander sorgen. Wie sich um mich gesorgt wird. Dieses Verhalten berührt mich immer wieder, Gänsehaut, wenn ich daran denke. So schnell möchte ich hier nicht wieder weg, unter solchen Menschen ist es leicht sich wohl zu fühlen.
In der Herberge Jakuke komme ich günstig und bequem unter, moderne Küche, nette Schlafabteile, nicht zu groß, nicht zu laut. Eine Jugendherberge im hohen Stil. In Deutschland habe ich so etwas bequemes noch nie gesehen. Anrührend wie sehr sich die Besitzer Mühe geben Privatsphäre zu schaffen.
Alleine ist man auf dem Jakobsweg nur sehr selten. Hier fühlt man sich beinahe so, als wäre man es, obwohl wahrscheinlich alle Betten belegt sind. Ich gehe noch ein wenig in Puente de la Reina herum und denke nach über die vielen Ereignisse, den Weg, über mich.
Bis nach Santiago sind es nun noch etwa 709km. Es ist unglaublich für mich, wie schnell die ersten 110km vergangen sind. Die Tage verfliegen. Habe ich abends über die Berge geschimpft, freue ich mich am nächsten Morgen wieder aufzubrechen.
Aua! Ich versuche vom Bett aufzustehen und höre ein deutliches Knacken im Knie. Obwohl drei nette Damen aus England mich überreden wollen mit ihnen essen zu gehen bleibe ich wo ich bin. Mit dem Knie möchte ich nicht mehr so weit laufen. Essen muss ich natürlich trotzdem. So nehme ich ausnahmsweise vorlieb mit dem Menü, das in der Herberge angeboten wird. Und ich bin sehr überrascht! Es gibt reichlich zu essen, Nachtisch so oft man möchte und viel Wein.
Später liege ich mit meinem kleinen schwarzen Notizbuch im Bett und schreibe meine Eindrücke auf. Ohne Buch, Internet, oder anderen Beschäftigungsmöglichkeiten bleibt nicht viel übrig als dass ich mich mit mir selbst beschäftige, als dass ich mich ausruhe. Ein völlig anderer Rhythmus, der schwer anzunehmen ist. Mein Alltag zwingt mich sonst dazu jede Minute auszunutzen, zu arbeiten, zu denken, zu planen.
Es ist nicht dein Alltag, der dich zwingt, du selbst bist es. Ja, naja, hier jedenfalls bleibt der Kopf
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